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ILIEN IN DEN
HOLZSCHNITTEN
.INDE WABER
Vielleicht würden wir es anders erwarten, tropisch
üppiger, farbensprühender und greller, das Bild von
Brasilien; doch die Künstlerin zeigt uns ein Brasilien
vor dem ewig wuchernden Grün der Urwälder, ein
Brasilien unendlich langer Küsten und vor allem ein
Brasilien der gewaltigen Spannungen von Luxus und
Armut, von barocker Kultur und elenden Slums, von
westlicher Zivilisation und den immer wollenden,
bedrohenden Mächten der Natur. Vielleicht bringt
die Künstlerin vieles von der Tanigkeit der Farben
schon mit, ist uns manches zum Teil von ihren Holz-
schnitten nach Motiven aus ihrer niederösterreichi-
sdien Heimat schon vertraut, und doch will es uns
scheinen, als würden in den zehn großen Farb-
holzschnitten, die Linde Waber als Niederschlag
einer Reise durch Brasilien im vorigen Winter schuf,
neue Wertigkeiten auftauchen.
Wir wissen: Der Holzschnitt bedingt eine harte,
zuchtvalle Arbeit und neigt, schon vorn Material
her, eher zu einer herben, strengen Linienführung
denn zu weichen, fließenden Komponenten. Trotz-
dem sind die Werke dieser Künstlerin - wie wir
schon in einem Vorwort eines Kataloges zu einer
Ausstellung ihrer Holzschnitte feststellten - von
überraschend malerischen Modulationen geprägt.
Wir führten letztere einerseits auf die frauliche
sich Ungeordnetes breitet, ebenso wie hinter der
Horizontlinie. Selbst in dem Blau des Himmels oder
des Meeres ist keine Eindeutigkeit, eine Spur zieht
ins Ungewisse. Ähnlich verhält es sich bei dem Bild
von Rio de Janeiro, nur daß hier der Atem des
Meeres alles blau überhaucht. Der mit Elend wie
mit Krätze überzogene „Leidende Berg" bringt
ein verwandtes Motiv wie das zweite Blatt. Bewegter
kurven sich die Konturen, in schroffen Einschnitten,
zernagt, zersägt ist das Massiv.
Bei den Bildern „Sao Paula", „Churasco" und „Sal-
vador de Bahia" sind wieder Architekturen in ver-
schiedenen Abstufungen die wesentlichen Bild-
inhalte, und wieder sind sie Ausdrucksmittel und
Träger der sozialen Gegensätze. „Sao Paulo" im
brennenden Rot, mit den getürmten Hochhäusern,
„Churasco" mit den winkeligen Gassen im Vorder-
grund und ebenso „Salvador de Bahia", nur daß
bei letzterem nicht die steinernen Wohntürme hinter
den verfallenden Elendsvierteln aufragen, sondern
die Türme des alten Domes, zu dem die elenden
Gestalten der ausgepawerten Massen auf der ge-
wundenen Straße in feierlicher Prozession einmal
im Jahr hochpilgern.
In den beiden sehr schmalen, im Breitformat gehal-
tenen Blättern „Die Geschichte um Brasilia" und
Naher, Brasilianische Tragödie, 1969. Farbholx-
Komponente der Künstlerin, andererseits auf ihre
technische Versiertheit zurück. Das technische Rüst-
zeug erarbeitete sie sich in der Meisterschule bei
Prot. Christian Ludwig Martin und Prof. Max Mel-
cher an der Akademie in Wien. Besonders der
technischen Anleitung Max Melchers verdankt Linde
Waber, wie manch anderer iunger Druckgraphiker,
besonders viel.
Was uns bei den Blättern aus Brasilien nun beson-
ders auffällt, ist die Bedrängnis, das Überhand-
nehmen des Ungewissen, des bedrohlich Chaoti-
schen. Sicher, bei dem ersten Blatt, das den Titel
„Ohne Brücke" trägt, ist das nur gleichsam am
Rande und aus dem Unterbewußtsein zu spüren.
Und doch, auch hier beginnt schon das Feste, die
wunderbare alte Barockarchitektur im rechten Stadt-
viertel, zu wanken. Die Wasser des Meeresarmes
trennen diese Stadt von der anderen drüben, wo
die elenden Hütten und Notquartiere der „Teutel"
sind. Noch ist alles hier, doch schon geht der Riß
quer durch. Telegraphendrühte gehen andeutungs-
weise über das Bild hinaus. Wohin?
Sicher, das sind kompositorische Elemente, und doch
ist es auch mehr.
Bei „Las Favellas", einem Bild mit starkem Dia-
gonalautbau, tritt die Fragwürdigkeit dieser Er-
scheinungswelt schon deutlich hervor. Im Zentrum,
an einem Hang, befindet sich die Bretterbudenstadt
der Armen, im Hintergrund, rechts darüber, ahnt
man die Hochhäuser der City, und vorne, die ganze
Fläche querend, liegt ein kahler Tierschädel,var dem
„Brasilianische Tragödie" wird gewissermaßen das
ganze Erlebnis Brasilien zusammengefaßt. Beide
Blätter zeigen andeutungsweise die zwei großen
Figuren, die in der Stadt Brasilia aufgestellt sind,
die Kirche und andere charakteristische Gebäude,
das Grün der Urwälder, das Ocker der Wüsteneien
breitet sich aus, und während die Bewegung im
Bild bei der „Geschichte um Brasilia" zu den Blatt-
röndern und über sie hinausdrängt, anscheinend
ohne Ende, schiebt sie sich gewissermaßen bei der
„Tragödie" im linken Drittel zusammen. Bei beiden
ist das eingangs erwähnte Ungewisse, Unfaßbare
dominierend geworden: die longgezogenen, wie
tadig gewischten Partien, die, einem Sandsturm
ähnlich, um die Hauptstadt des Landes ebenso wie
um das chaotisch Zusammengepreßte der „Tragödie"
sind. Auf letzterer Darstellung vereinigen sich die
verschiedenen Eindrücke: Die Wolkenkratzer links
und die charakteristischen Obiekte der Hauptstadt
rechts, dazwischen, in einem magisch hellen Streifen,
werden die alten, wankenden Bauwerke der Kolo-
nisationszeit zerquetscht. Dunkel herrscht da und
dort, Risse tun sich auf, spitz und eckig greifen die
Konturen in das ungewiß Weiche der über dem
Horizont schwebenden Helle.
Wenn wir diesen Zyklus mit Linde Wabers früheren
Arbeiten vergleichen, will es uns scheinen, daß sie
sich einer dynamischeren Arbeitsweise nähert und
doß sie die Bezugspunkte immer öfters über die
Blattränder hinausschiebt, womit auch das nicht
Gezeigte in das Bildgeschehen einbegriften wird.
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