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Volltext: Alte und Moderne Kunst X (1965 / Heft 83)

Der Sessel steht auf Bocksbeinen, die Arm- 
lehne endet in einem Bockskopf. Im Hinter- 
grund springt ein Hirsch. - Oben steht: 
„Wandelt nicht in Geilheit und Unzucht. 
Rom. XIII. 13." 
Nur wenige Attribute der „Unzucht", die 
stets auf ihre Begehrlichkeit nach Schmuck 
und Tand hinweisen, sind während der jahr- 
hunderte konstant geblieben. In Amiens und 
Chartres tragt sie eine Krone, in der Fenster- 
rose von Nutte-Dame in Paris schmückt sie 
sich vor einem Spiegel 39. Die Ziege, Symbol 
der Unreinheit in den Hieroglyphen des 
Horus Appolinis, scheint zum erstenmal im 
14. Jahrhundert, auf einer Miniatur, ihr 
Attribut zu sein 40. Callot kennzeichnet seine 
„Luxuria" mit einem Bock 41. Für die Attri- 
bution des Affen und des Hirschen, auf dessen 
Brunstzeit der Vers anspielt, ließ sich kein 
Beispiel finden. 
Braun verzichtete auf die Fülle der Attribute. 
Seine Allegorie erblickt im Spiegel in ihrer 
Hand ihr wahres Wesen, ein Affengesicht. Sie 
tritt mit einem Fuß auf zwei dicke Bücher, 
daneben liegt ein offener Geldsack und ein 
nicht erkennbarer Gegenstand. Ihr Hemd 
deckt den Oberkörper nur zum Teil und ist 
vor dem Leib geschlitzt. Der Affe neben ihr 
zeigt in Haltung und Gesten deutlich den 
Zusammenhang mit dem Stich. 
Die Allegorie der Völlerei, ein fettes Weib 
mit Weinlaub im Haar, kennzeichnen ein 
Mastschwein, eine überladene Schüssel auf 
einem Tisch, ein umgestürztes Weinglas und 
ein Weinkrug am Boden. - Oben steht: 
„Weh denen so Helden sind Wein zusauifen 
und Krieger in Füllerey. Esa. V. 22." Die 
wesentlichen Attribute dürften von Callot 
entlehnt sein, Weinlaub und die Speisen- 
schüssel sind Engelbrechts Zugaben. 
Brauns „Gefräßigkeit" ist gleichfalls ein 
dickes Weib mit vorgetriebenem Leib. Im 
Gegensatz zu Engelbrechts Figur hat sie ein 
grobes, altes Gesicht, dessen Häßlichkeit 
unter dem schweren Traubenkranz fast gro- 
tesk wirkt. Sie hat die Schüssel im Arm. Das 
Schwein steht neben ihr. Glas und Krug sind 
nicht übernommen. 
Die „Leichtsinnige Sicherheit", ein Mädchen 
in einem mit Bändern und Schärpe verzierten 
Bühnenkostüm, tanzt auf Rosenblüten. Ein 
Blumenstrauß schmückt ihr Kleid, eine Wetter- 
fahne ihr Haar: „Die Flagge zeigt den leichten 
Sinn . . ." Ein pickender Vogel und die 
Schar der auf die Lockspeise in Fallen zu- 
fliegenden Vögel sind Beispiele leichtfertigen 
Tuns. - Oben steht: „Sie werden zuschanden 
werden, xvenns am sichersten sind. Hiob VI. 
20." Vorbilder für diese Ikonographie scheint 
es nicht zu geben. Die Wetterfahne als Sinn- 
bild der „UnbeständigkeiW kennt das Ikono- 
logische Wörterbuch von 1759 41. 
Brauns Allegorie der Leichtfertigkeit zeigt 
diesem Stich gegenüber nur geringfügige 
Anderungen am Kostüm. Auf die Wetter- 
fahne verzichtete Braun. 
Engelbrechts „Verzweiflung" ist eine Selbst- 
mörderin mit dem Dolch in der Brust. Die 
Sinne entschvrinden ihr. Auf einem Sarg liegt 
ein Zypressenzweig, Symbol der Trauer, und 
am Boden Werkzeuge des Selbstmordes, Strang 
an 
und Giftbecher, außerdem ein Kompaß mit 
zerbrochener Nadel, Sinnbild eines Lebens, 
das sein Ziel verfehlte. Das Bibelzitat heißt 
„Die Gottlosen bringen sich selber um ihr 
Leben. Tob. XII. 10." 
Ein Selbstmörder ist die Allegorie in den 
Kirchen in Amiens, Chartres und Notre- 
Dame in Paris im 13. jahrhundertß. Eine 
Selbstmörderin mit Dolch in der Brust ist es 
bei Giotto 44. Dieser Ikonographie fügte Ripa 
Zypressenzweig und Kompaß hinzu. 
Brauns „Verzweiflung" 4 seitenverkehrt zum 
Vorbild f stützt sich beim Fallen mit der- 
selben Bewegung wie dieses auf einen Baum- 
stumpf, auf dem der Strang liegt. Der Kompaß 
steht atn Boden. Einzelne Motive der Kleidung 
sind wiederholt. 
Die Allegorie der _.„Lügen" Engelbrechts 
(Abb. 16) trägt ein brennendes Strohbündel 
im Arm. Statt des linken Unterschenkels hat 
sie eine Stelze: „Auf Stelzen geht und steht 
auf Schrauben." Das Kleid ist über und über 
mit Masken bedeckt. So weit gleicht die 
Ikonographie der der „Bugia" Ripas. Eine 
schwatzende Dohle, auf einem Baumstumpf, 
ist eine Beigabe Engelbrechts und wohl ein- 
malig. - Oben steht: „Wer frech Lügen 
redet, wird umkommen. Prov. XIX. 9." 
Diese Ikonographie hat Braun übernommen 
(Abb. 17) einschließlich der Dohle, die auf 
einem Gewandbausch rechts sitzt. Die Lügen- 
haftigkeit und Schwatzhaftigkeit wird bei ihm 
besonders betont mit dem offenen Mund, in 
dem die Zunge sichtbar ist. 
Der „Betrug" (Abb. 18) hat bei Engelbrecht 
die vermutlich einmalige Darstellung einer 
Frau im antikischen Gewand, einen ver- 
siegelten Brief und eine Angelrute in den 
Händen, eine Mausefalle auf dem Kopf. „Wer 
durch den Schein geblendet wird, l Wird wie 
die Mauß und Fisch betrogen. . .". Nur in 
der deutschen Ripa-Ausgabe von 1669 ist 
Attribut der Allegorie ein Blackiisch. - Das 
Sprichwort lautet: „Betreug nicht mit deine 
Munde. Prov. XXIV. 28." 
Braun gab seiner „Arglist" (Abb. 19) die 
übliche Larve und einen Fuchs 4 beide wohl 
von Ripa entlehnt -, nicht dagegen die 
Angelrute und die Mausefalle. Wie Engel- 
brecht stellte er die Figur ins Profil, jedoch 
mit nach vorn gewendetem Kopf und scheelem 
Blick zur Seite. Die junge Frau trägt zwei 
Tintenfische - das Vorbild hat nur einen an 
der Angel. Der Tintenfisch vermag sich zu 
verstellen: Wenn Gefahr droht, verfärbt er 
sich schwarz, um im dunklen Wasser unkennt- 
lich zu sein. w Die Form des kleinen, aparten 
Hutes der Allegorie sowie der Reiherfeder 
ist offensichtlich von der Mausefalle und der 
Feder des Vorbildes angeregt 45. 
Die „Faulheit" Engelbrechts, eine ungepiiegte 
Erscheinung im geflickten Kleid und unge- 
kämmten Haar, sitzt an einer kahlen Mauer, 
den Kopf in die Hand gestützt. Die Augen 
fallen ihr zu. Der Mund ist offen. Bienen um- 
schwirren sie. Attribute sind ein Esel und 
eine Sanduhr, die unbenutzt am Boden liegt. 
Die Früchte eines Apfelbaumes hängen unbe- 
achtet über ihr. Sie „Wär zu faul danach zu 
langen". - Ein Galgen steht auf einem Hügel 
im Bildgrund. f Das Sprichwort lautet: 
„Faulheit bringt schlaffen, und eine lässige 
Seele wird Hunger leiden. Prov. XIX. 15." 
Wie hier wird die Allegorie meist, auch bei 
Ripa (Ausgabe 1645) und Callot, auf der 
Erde hockend, begleitet von einem Esel, 
dargestellt. Bei Callot gehört die Liederlichkeit 
der Kleidung und des Haares zu ihren wesent- 
lichen Merkmalen46. Die Sanduhr als ihr 
Attribut kennt das Ikonologische Wörterbuch 
von 1759 47. Bienen, Obst und Galgen scheinen 
sonst nicht symbolisch mit ihr verbunden zu 
sein. 
Ihre statuarische Wiedergabe bedingte einen 
anderen Aufbau. Beide Figuren stehen neben- 
einander. Die Frau lehnt sich auf die Kruppe 
des Esels. Ihr Kopf ist auf die Hand gestützt. 
Ihre Augen sind halb geschlossen. Das Haar 
ist wirr. Das Gewand ist halb offen und 
verrutscht. Die Füße sind nackt wie auf 
Engelbrechts Stich. 
Die Engelbrechfschen Stiche lassen in der 
Reichhaltigkeit ihrer ikonographischen De- 
tails die Tendenz erkennen, mit allen zu 
Gebote stehenden ikonographischen Mitteln 
das „Lobwürdige" der Tugenden und das 
„Abschröckende" der Laster in größter Ein- 
dringlichkeit vor Augen zu stellen. Diese 
Tendenz ist den moralischen Zielen des Grafen 
Sporck so gemäß, daß man annehmen möchte, 
das Kupferstichwerk sei in seinem Auftrag 
hergestellt worden, zunächst vielleicht nicht 
einmal unmittelbar als Unterlage für die 
plastische Verwirklichung seiner Ideen, son- 
dern nur im Zusammenhang mit seiner 
jansenistischen Lektüre zur Erbauung und 
Belehrung seiner Mitwelt - er pHegte mit 
seinen Hausgenossen gemeinsame Andachten 
zu halten und versammelte sie regelmäßig zu 
Vorlesungen aus frommen Schriften 43. 
Abschließend noch eine Bemerkung: Da im 
vorstehenden die Ikonographie der Allegorien 
Engelbrechts ausführlicher als ihr Zusammen- 
hang mit den Braun'schen Skulpturen be- 
schrieben wurde, kann leicht der Eindruck 
einer zu großen Bedeutung des Stichwerkes 
entstehen. Künstlerisch sind die Kupferstiche 
von geringem Wert. Wesentlich ist, was Braun 
daraus gemacht hat. Für Braun waren sie 
Hilfsmittel. Die Attribute sind bei ihm zwar 
häufig Mitspieler der Darstellung, sie bleiben 
aber trotzdem Objekte der Ausstattung. Der 
Sinn der Figuren Brauns ist, zu zeigen, wie 
der Mensch von seinen Eigenschaften ge- 
prägt wird. Seine „Laster" sind ekstatisch 
erregte, von ihren Leidenschaften gezeichnete 
Gestalten, seine „Tugenden" verbinden eine 
wunderbare Würde in ihrer Haltung und ihren 
weichen Gebärden mit rauschendem Pathos. 
Sie alle sind Meisterwerke. 
ANMERKUNGEN 39 "M 
39 Mlle (1922): Fig. 59. 
'45 KUIISIICI I., 5.161. 
4' LiCllRZ IL, NL 257. 
u S. 368. 
43 Külßllt! Ir, S. 16D. 
M Künstler 1.. s. 152. 
ß Eine Feder über der Slim hat der "Betrug" bei Th. de Bry. 
n LICIIKCI T. U, Nr. 355. 
f:  UÖIHÄ. 
1 POKCKS Verhindun zu Au bur ist bekannt. v I. oben 
s. a. H Benedikt: seus. S5 g g 
Abbildungen sämtlicher All 
rien Braun: in: Jan Lukasl 
0.]. Blazicek: Kuks. Prag l .
	        
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