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Objekt: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1895 / 4)

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Gezogene, das Schmalleibige, das Spießige der Buchstaben; aber diese 
Charakterzüge sind im Süden doch nicht so völlig schroff ausgeprägt. 
Gerade so wie die italienisch-gothischen Dome nicht einseitig himmelhoch 
emporstrehen wie die nordischen, sondern stets noch ein gewisses behag- 
liches Strecken in die Breite beibehalten, so hat auch die Schrift in der 
Tendenz, die Buchstaben aus engegestellten Verticalstrichen zusammen- 
zusetzen, in Italien allezeit ein bestimmtes Maß beobachtet. Nun kommt 
das 15. Jahrhundert. Die italienischen Humanisten, die eine umfangreiche 
literarische Thätigkeit entfalten, finden die gothische Schrift ihrem 
Geschmacke nicht mehr zusagend. Sie suchen nach einer Schrift, die 
ihrem neuerwachten nationalen und künstlerischen Empfinden entspräche. 
Wäre die Begeisterung für die Antike allein, um ihrer selbst willen, 
ausschlaggebend gewesen, so hätte man gewiss eine der altrömischen Mo- 
numentalschriften gewählt: entweder die sogen. Capitale oder die Unciale, 
oder doch die spätrömische Halbunciale. Aber man wählte nichts von 
alledem, sondern man griE nach der romanischen Schrift etwa des iz. Jahr- 
hunderts, nach der Schrift der Protorenaissance. Man knüpfte an den 
Punkt an, auf welchem man durch das Eindringen des fremden gothischen 
Stils gewissermaßen von der geraden Linie der Entwicklung abgedrängt 
worden war. Und man erwäge dabei, dieser Process vollzog sich ganz 
allgemein und ganz spontan, nicht etwa in Folge der Verabredung 
einiger Weniger untereinander. Es lag also sozusagen in der Luft, und 
trat mit einer gewissen Naturnothwendigkeit ein, sobald die Verhältnisse 
dazu reif geworden waren. 
Ganz von den gleichen Anschauungen und Empfindungen ließen 
sich die Italiener des 15. Jahrhunderts auf dem Gebiete des eigentlichen 
Kunstschaßens leiten. Was gut schien an den Werken der Protdrenaissance, 
das wurde auch hier verwendet; nur brachte es die größere Vielgestal- 
tigkeit der nunmehrigen künstlerischen Aufgaben mit sich, dass man auf 
diesem Gebiete auch noch weiter zurück, nach der römischen Antike- 
greifen musste und in der That gegriffen hat. Aber niemals ward die 
Nachahmung der Antike zum Selbstzweck; immer war es das neue 
Werk, das man für seine eigenen, sozusagen modernen Zwecke hervor- 
zubringen hatte, das den Ausschlag gab. Ja noch mehr: die Antike hörte 
sofort auf, als vorbildlich zu gelten, wo man die innere Verwandtschaft 
eines antiken Denkmals mit dem eigenen Kunstschaffen vermisste. 
Es ist schon überaus charakteristisch für die italienische Renaissance,- 
dass sie nicht ein einziges Mal versucht hat, einen antiken Tempel nachzus- 
bilden. Man lernte alles mögliche an den erhaltenen Tempeln der Römer- 
zeit, aber die äußere Structur derselben im Ganzen hat man niemals- 
nachgeahmt. Man hatte eben andere monumentale Bauformen, die Basilikery; 
die Paläste, die Formen, die zwar zum Theile noch in der spätestentä 
Antike (wie die Basiliken), zum Theil aber sicher erst im Mittelalter 
geschaffen wurden; diese waren die Typen, die dem herrsehendem.
	        
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