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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

DER GARTEN AM HAUSE 
ALTE VORGHRTEN 
W' 
Btumenfreude oder von einem beftimmten 
Hauseinwobner. Der moderne Vorgarten kann wegfallen und 
es würde im wefentlicben nichts fehlen; der ländliche Vorgarten 
kann nicht weggedacbt werden, ohne daß ein Stück menfcblicbes 
Dafein zugrunde gebt. Der moderne Vorgarten wird feiten oder 
nie betreten; der ländliche Vorgarten ift ein Stück Wohnung. 
Der moderne Vorgarten entbehrt die Pbyfiognomie menfcblicb 
notwendiger und künftlerifcher Geftaltung; der ländliche Vor» 
garten ift ein, wenn auch befcbeidenes Stück Architektur, das 
aus den Bedingungen des Kaufes und des Lebens berauswäcbft. 
Der moderne Vorgarten ift für die Vorübergebenden angelegt; 
der ländliche Vorgarten ift für die Inwohner gefcbaffen. Der 
moderne Vorgarten ift Hbfichtlichkeit und Willkür, der länd» 
liebe Vorgarten ift Natürlichkeit und Gefet). Er ift fo eins mit 
den Käufern und mit dem Mauerwerk, daß er nicht weggenommen 
werden könnte, ohne daß das Haus und Dorf ganz zerftört würde. 
Gering und unfebeinbar find die fcblecbten Käufer, aber ihre 
Ärmlichkeit wird durch die Vorgärten mit einem folcben Reichtum 
überfchüttet, daß fie feftlicb dafteben wie gefchmückte Bräute. 
Wie fcbmucke Dirnen, den Blumenftrauß vor den Bruftlat) ge» 
fteckt, fo mutet das freundliche Bild an. Ein Spaziergang durch 
die umbüfehten, dorfmäßigen Straßen, auf die das Weingebirge 
und der Bergwald berunterfiebt, gehört zu den berzftärkenden 
Genüffen. Es ift nicht nur eine Seelenfreude, fondern ift in 
mancher Beziehung lehrreich. Wir wiffen, was feböne, große 
Gärten zu bedeuten haben und wir kennen die künftlerifdien 
Grundfätje ihrer Geftaltung, aber wir kennen nicht das Geheimnis 
diefer winzigen Gärten und ihrer Schönheit, und es ift beinahe 
zu fürchten, daß, wenn fie eines Tages verfchwinden, was leider 
ficberlicb der Fall fein wird, fie unwiederbringlich verloren find. 
Ich habe in dem ganzen Bereich diefer alten Vorgärten kein 
einziges Drabtgitter gefehen; wenn es nicht die lebendige, von 
W ird es je gelingen, ab» 
fichtlich die entzückende 
Lieblichkeit der alten 
Vorgärten bervorzubringen? 
Sie find das unbefangene Pro» 
dukt einer febier unbewußten 
Volkskunft, die in ftillen Gaffen, 
in der Unbefangenheit dörfifcher 
Zuftände gegeben ift. Neue 
Stadtbäufer und moderne Cot» 
tages befitjen bekanntlich auch 
Vorgärten, vornehme Schwe» 
ftern diefes naiven Landkindes. 
Aber wie dürftig und unfebein» 
bar fiebt diefe Vornehmheit im 
Vergleiche mit der ungezwun» 
genen Natürlichkeit diefer länd» 
liehen Vorgärten aus. Der mo» 
derne Vorgarten ift in der Reget 
zu einer zwecklofen Dekoration 
herabgefunken. Der alte länd» 
liehe Vorgarten ift ein leben» 
diges Glied der ländlichen Da» 
feinsform. Er ift erfüllt von der 
Nutjgedanken der der Schere in Ordnung gehaltene Hecke war, fo diente der weiß» 
geftrichene Holzzaun als Abfchluß, und geweißtes Mauerwerk 
als Sockel oder Einfaffung. Darüber hinaus und von Nachbar 
zu Nachbar hängen blühende Sträucher, zwifchen dem hoch» 
flehenden Flieder riefelte der Goldregen in febweren Strähnen 
nieder und wenn es an der Zeit war, dufteten die Rofenftöcke 
an der Hauswand. Efeu überkroch Riffe und Mauerlöcher, klet» 
terte an Baumftämmen hinauf und umrankte die Fenfter, von 
denen er in langen, webenden Armen niederhängt. Im Herft 
reifte die Weintraube, die in den meiften Höfen über ein dach» 
artiges Stabwerk gezogen ift. Es ift dann febön darunter zu 
fitjen. Dann gebt ein farbenreiches Verfärben an. Neben dem 
dunklen Efeugrün erglüht das Purpurrot des Weinlaubes, eine 
fpäte Dahlie bebt das glühende Haupt traumfebwer aus fahlen 
Blättern und die zarteren Herbftfarben der Aftern fcbmücken das 
allmähliche Verfcbeiden mit einer leifen Blumenpracbt. Während 
der Kranz von Sommerblumen an der verwitterten Johannes» 
ftatue welkt, fchimmert der Edelreif in den Birnen» und Zwetfchen» 
bäumen. Die Stunde, die man auf der Hausbank in einem Vor» 
garten verbringt wird kürzer. Aber das Entfcbeidende ift, daß 
man überhaupt das Verlangen verfpürt, in einem Vorgarten 
Stunden zu verbringen. Es find feböne Stunden. Man genießt 
fie mit einer verdoppelten, faft fcbmerzlicben Freude, wenn die 
Zeit beranrückt, da man auch die Oleanderbäume, die in Kübeln 
aufgeftellt find, und die Regale für die kleinen Topfpflanzen aus 
dem Hof in den Überwinterungsraum febaffen muß. Das alles 
ift nur ein unvollftändiges Inventar der Werte, die ein folcbes 
Alt»Wiener Vorgärtchen trägt. Ich habe nicht an die Singvögel 
gedacht, die in den Hecken, Gebüfcben und Bäumen am menfeh» 
liehen Haus niften. Die Finken und Meifen, das Rotfcbwänzcben 
find hier zu Haufe, zuweilen kommt der Waldfpecbt auf flüchtigen 
Befuch, von der Hausfcbwalbe nicht zu reden. Sie dienen nicht 
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