DER GARTEN AM HAUSE
ALTE VORGHRTEN
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Btumenfreude oder von einem beftimmten
Hauseinwobner. Der moderne Vorgarten kann wegfallen und
es würde im wefentlicben nichts fehlen; der ländliche Vorgarten
kann nicht weggedacbt werden, ohne daß ein Stück menfcblicbes
Dafein zugrunde gebt. Der moderne Vorgarten wird feiten oder
nie betreten; der ländliche Vorgarten ift ein Stück Wohnung.
Der moderne Vorgarten entbehrt die Pbyfiognomie menfcblicb
notwendiger und künftlerifcher Geftaltung; der ländliche Vor»
garten ift ein, wenn auch befcbeidenes Stück Architektur, das
aus den Bedingungen des Kaufes und des Lebens berauswäcbft.
Der moderne Vorgarten ift für die Vorübergebenden angelegt;
der ländliche Vorgarten ift für die Inwohner gefcbaffen. Der
moderne Vorgarten ift Hbfichtlichkeit und Willkür, der länd»
liebe Vorgarten ift Natürlichkeit und Gefet). Er ift fo eins mit
den Käufern und mit dem Mauerwerk, daß er nicht weggenommen
werden könnte, ohne daß das Haus und Dorf ganz zerftört würde.
Gering und unfebeinbar find die fcblecbten Käufer, aber ihre
Ärmlichkeit wird durch die Vorgärten mit einem folcben Reichtum
überfchüttet, daß fie feftlicb dafteben wie gefchmückte Bräute.
Wie fcbmucke Dirnen, den Blumenftrauß vor den Bruftlat) ge»
fteckt, fo mutet das freundliche Bild an. Ein Spaziergang durch
die umbüfehten, dorfmäßigen Straßen, auf die das Weingebirge
und der Bergwald berunterfiebt, gehört zu den berzftärkenden
Genüffen. Es ift nicht nur eine Seelenfreude, fondern ift in
mancher Beziehung lehrreich. Wir wiffen, was feböne, große
Gärten zu bedeuten haben und wir kennen die künftlerifdien
Grundfätje ihrer Geftaltung, aber wir kennen nicht das Geheimnis
diefer winzigen Gärten und ihrer Schönheit, und es ift beinahe
zu fürchten, daß, wenn fie eines Tages verfchwinden, was leider
ficberlicb der Fall fein wird, fie unwiederbringlich verloren find.
Ich habe in dem ganzen Bereich diefer alten Vorgärten kein
einziges Drabtgitter gefehen; wenn es nicht die lebendige, von
W ird es je gelingen, ab»
fichtlich die entzückende
Lieblichkeit der alten
Vorgärten bervorzubringen?
Sie find das unbefangene Pro»
dukt einer febier unbewußten
Volkskunft, die in ftillen Gaffen,
in der Unbefangenheit dörfifcher
Zuftände gegeben ift. Neue
Stadtbäufer und moderne Cot»
tages befitjen bekanntlich auch
Vorgärten, vornehme Schwe»
ftern diefes naiven Landkindes.
Aber wie dürftig und unfebein»
bar fiebt diefe Vornehmheit im
Vergleiche mit der ungezwun»
genen Natürlichkeit diefer länd»
liehen Vorgärten aus. Der mo»
derne Vorgarten ift in der Reget
zu einer zwecklofen Dekoration
herabgefunken. Der alte länd»
liehe Vorgarten ift ein leben»
diges Glied der ländlichen Da»
feinsform. Er ift erfüllt von der
Nutjgedanken der der Schere in Ordnung gehaltene Hecke war, fo diente der weiß»
geftrichene Holzzaun als Abfchluß, und geweißtes Mauerwerk
als Sockel oder Einfaffung. Darüber hinaus und von Nachbar
zu Nachbar hängen blühende Sträucher, zwifchen dem hoch»
flehenden Flieder riefelte der Goldregen in febweren Strähnen
nieder und wenn es an der Zeit war, dufteten die Rofenftöcke
an der Hauswand. Efeu überkroch Riffe und Mauerlöcher, klet»
terte an Baumftämmen hinauf und umrankte die Fenfter, von
denen er in langen, webenden Armen niederhängt. Im Herft
reifte die Weintraube, die in den meiften Höfen über ein dach»
artiges Stabwerk gezogen ift. Es ift dann febön darunter zu
fitjen. Dann gebt ein farbenreiches Verfärben an. Neben dem
dunklen Efeugrün erglüht das Purpurrot des Weinlaubes, eine
fpäte Dahlie bebt das glühende Haupt traumfebwer aus fahlen
Blättern und die zarteren Herbftfarben der Aftern fcbmücken das
allmähliche Verfcbeiden mit einer leifen Blumenpracbt. Während
der Kranz von Sommerblumen an der verwitterten Johannes»
ftatue welkt, fchimmert der Edelreif in den Birnen» und Zwetfchen»
bäumen. Die Stunde, die man auf der Hausbank in einem Vor»
garten verbringt wird kürzer. Aber das Entfcbeidende ift, daß
man überhaupt das Verlangen verfpürt, in einem Vorgarten
Stunden zu verbringen. Es find feböne Stunden. Man genießt
fie mit einer verdoppelten, faft fcbmerzlicben Freude, wenn die
Zeit beranrückt, da man auch die Oleanderbäume, die in Kübeln
aufgeftellt find, und die Regale für die kleinen Topfpflanzen aus
dem Hof in den Überwinterungsraum febaffen muß. Das alles
ift nur ein unvollftändiges Inventar der Werte, die ein folcbes
Alt»Wiener Vorgärtchen trägt. Ich habe nicht an die Singvögel
gedacht, die in den Hecken, Gebüfcben und Bäumen am menfeh»
liehen Haus niften. Die Finken und Meifen, das Rotfcbwänzcben
find hier zu Haufe, zuweilen kommt der Waldfpecbt auf flüchtigen
Befuch, von der Hausfcbwalbe nicht zu reden. Sie dienen nicht
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