16
2. DIE INDO-ARISCHE KULTUR (CA. 1400 V. CHR. BIS CA.
750 N. CHR.), begründet von den aus Innerasien eingewanderten,
mit den Iraniern verwandten „Aryas', kriegerischen Halbnomaden
und Viehräubern, den Einheimischen durch Pferde, Streitwagen
und bessere Waffen überlegen. Zwischen ca. 1200/1000 und
600 V. ehr. wurden sie die Aristokratie (Kshatriyas) des neu er
oberten Oangeslandes, danach mehr und mehr von einer städti
schen Plutokratie abgelöst. Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. be
gannen sich Grofjmonarchien zu entwickeln, die nach dem Ein
fall Alexanders des Grofjen 326 v. Chr. in dem Riesenreich der
Mauryas zusammengeschlossen wurden, welches fast ganz In
dien und Ostafghanistan umfaßte. Parallel hatten sich die in den
Veden besungenen kriegerischen Himmelsgötter der Aryas in der
Opfer(brahman)-Magie der Priester an den Feudalhöfen aufge
löst oder mit den lokalen Schutz- und Fruchtbarkeitsgottheiten
(Yakshas, Nagas) der Unterwortenen vermischt. Eine neue Reli
giosität entwickelte sich aus der Verschmelzung des vorarischen
schamanistischen Yoga mit der brahmanischen Opfer-Philosophie
(atman-brahman, „Das bist Dul"), schliefjlich in verschiedenen
theistischen, pantheistischen, atheistischen und selbst materiali
stischen Systemen sich kristallisierend. Von diesen wurden erst
der Buddhismus und Jainismus einflußreich, weil ihr von lokalen
Bindungen freier Intellektualismus und ihre hohe Ethik den Be
dürfnissen der neuen Oberschicht über ganz Indien Handel trei
bender Kaufleute und der sie beliefernden Gewerbe, der neuen
Großstaaten, besonders des Maurya-Reiches, und später der
fremden Eroberer entgegenkamen. Aber das achämenidisch-
persischen und hellenistischen Vorbildern nachgeahmte Maurya-
Reich, nur durch Gewalt zusammengehalten, löste sich nach dem
Tode des milden buddhistischen Kaisers Ashoka wieder in einen
losen Staafenbund unter den Sunga- und Kanva-Kaisern auf.
Und damit setzte die nationalistische Gegenreformation der
Brahmanen ein, welche sich einerseits als Hofastrologen, Opfer
priester, Minister auf die Höfe stützten, anderseits die Volkskulte
in ein paar große, theoretisch monotheistische, praktisch ge
nommen polytheistische Systeme organisierten, in welche die
zahllosen Lokalgötter als verschiedene Formen des höchsten
Gottes, seiner „Macht' (Sakti, Gemahlin), seiner Emanationen
(Kinder), seiner Inkarnationen und seines himmlischen Gefolges
eingegliedert und einer Philosophie der Erkenntnis und Goftes-
liebe untergeordnet wurden.
Aber es sollte noch Jahrhunderte dauern, bis diese Bewegung
stark genug wurde. Denn die Kleinstaaten wurden eine leichte
Beute zentralasiafischer Eroberer, erst (2. Jahrhundert v. Chr.) der
griechischen Satrapen Bakiriens (Nordafghanistans), dann der
Skythen (1. Jahrhundert v. Chr. bis 2. Jahrhundert n. Chr. [Kat. 103;
127]), Parther (um Christi Geburt, Apostel Thomas), der Yue-chi (To-
charer) und Kushana (1. bis 3. Jahrhundert n. Chr.). Inzwischen
löste sich die städtische Kultur immer mehr von ihrem dörflichen
Hintergrund. Der Buddhismus, in Afghanistan, Ostturkeslan und
schließlich China und Japan Mission treibend, wurde immer
mehr mit dem Hellenismus und den zentralasiatischen Barbaren
identifiziert. Statt dessen wurden die hinduistischen Religionen,
der Vishnuismus (Himmelskönigskult), Sivaismus (Schöpterkult),
Soktismus (Muttergöttinnenkult) und die Surya-(Sonnen-)Verehrung,
respektabel und gewannen auch viele mächtige Ausländer für
den Nationalismus, die Sanskritsprache des vedischen Kultes wurde
Einheitssprache der indischen Oberschicht, ihre Literatur, vor
allem die großen Nationalepen des Mahabharata und Ramayana,
der Träger einer neuen nationalen Ideologie.
Diese gewann schließlich Gestalt in dem Reiche der Gupta-
Kaiser (320—530/70 n. Chr.), dem Goldenen Zeitalter der in
dischen Kultur, dem klassischen Vorbild für alle späteren Jahr
hunderte. Ein ganz Nordindien umfassender und den Dekhon
kontrollierender toleranter „Wohlfahrtsstaat' mit noch elastischer
großkapitalistischer Gesellschatts- und Wirtschaftsstruktur, strebte
das Gupta-Reich doch letzten Endes ein aristokratisches Ideal
an, die vollkommenste, von den Göttern inspirierte nationale
Lebensform, in der auch alle fremden Kulfuranregungen absor
biert wurden. Aber unter den ständigen Angriffen neuer zentral-
asiatischer Barbarenhorden, der „Weißen' Hunnen (Hephthaliten),
Sulikas und Gurjaras, zerfiel das Gupta-Reich in eine Anzahl
Militärstaaten (ca. 530—750 n. Chr.); KriegsverwOstungen, In
flation und Steuerdruck vernichteten den Bürgerstand; die Groß
städte schrumpften zusammen; die vom Mittelstand getragene
buddhistische Kirche verlor ihren Einfluß; die Gupta-KuHur ver
sank in den feudalen Traditionalismus des Mittelalters.
3. DER SÖDEN: Südindien hatte schon früh in noch wenig ge
klärten direkten Beziehungen zu Mesopotamien, Arabien, Ägyp
ten und Syrien gestanden. Seit etwa 600 v. Chr. drangen brah-
manische und Kshatriya-Kolonisten, später auch Jainas und
Buddhisten aus Nordindien ein, mußten sich aber der einheimi
schen, ursprünglich megalithischen Kultur anpassen. Der Gewürz
handel mit dem Römischen Reich machte den äußersten Süden
reich (Tamil-Kultur des Samgam-Zeitalters, 3. Jahrhundert v. Chr.
bis 3. Jahrhundert n. Chr.) und förderte im Dekhan die Entstehung