EINFÜHRUNG
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Anton Pilgram, der aus Oberschwaben über Brünn nach Wien als Dombaumeister kam
und hier die Kanzel und den Orgelfuß in St. Stephan schuf, gehören zu den feinsten
Werken der Ausstellung.
Ein neues Schönheitsideal und hinter diesem stehend, eine neue Einstellung zur Welt,
bezeichnet alle diese Schöpfungen des frühen 16, Jahrhunderts. Es ist die größte Zeit
der deutschen Kunst seit den Staufertagen. Die Künstler wie die Gestalten, die sie
schaffen, gehören in einer neuen Weise sich selbst. Profane oder profan wirkende
Themen gesellen sidi zu denen der christlichen Bildvorstellungen. Die harten, gebrochenen
Falten der Gotik weichen groß schwingenden Linien. Fest stehen die Figuren auf dem
Boden dieser ihrer eigenen Erde.
Den Höhepunkt der deutschen Plastik auf donauländischem Boden bezeichnen die
beiden großen Schnitzaltäre aus Zwettl und Mauer bei Melk, von denen der letztere
nun in Wien zu sehen ist. Das rauschende Pathos seiner Figuren entspricht der allge
meinen Erregungswelle, die im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts die deutsche
Kunst durchweht und in Grünewalds Isenheimer Altar ihr berühmtestes Zeugnis hat.
Es ist der Augenblick, in dem Martin Luther seine Thesen an die Kirchentür von
Wittenberg schlägt. Wenig später schließt auch in unserer Heimat mit jähem Absturz
von gewaltiger Höhe die Geschichte der altdeutschen Kunst.
Blickt man über das ganze Vierteljahrtausend, das durch die Ausstellung erhellt
wird, zurück, so wird audi für die altdeutsche Zeit sichtbar, was für den deutschen Barock
seit langem bekannt ist: Daß unser Donauland die glücklichste Kunstlandschaft des
Reiches — auch damals schon — war. In fast ununterbrochener Folge reihen sich
Meisterwerke aneinander, die wohl bald in keiner deutschen Kunstgeschichte mehr
fehlen werden.
Worin beruht nun die Eigenart dieser Landschaft? Sie wird bezeichnet durch die
beiden Pole, zwischen denen alles Bedeutende sich bewegt: Wärme und selbst Über
schwang der Empfindung ist der eine, ruhig behagliche Schilderung der andere. Weder
das Heroische noch das kraß Naturalistische ist hier zu Hause.
Seit dem lä. Jahrhundert kann man den oberen Donaugau von dem unteren trennen.
Der erste steht dem niederbayrischen auch künstlerisch so nahe, daß sich eine Stil
grenze bei Passau schlechterdings nicht ziehen läßt. Wird doch der Meister von Kefer
markt von manchen für dort ansässig gehalten. Ernster und wuchtiger ist, was auf
diesem Boden entstand. Daneben zeigt der östliche Teil des Donaulandes eine weichere,
heitere, weniger männliche Art. Die Freude an dem Thema der sitzenden Frauengestalt,
die für die Domsdtule von St. Stephan nach 1300 so bezeichnend ist, stammt aus der-
selhcn Wurzel wie die liebevolle Schilderung der eigenen Heimat in Stadt und Land
schaft auf den Schottenbildern. Die wundervoll unbefangene Menschenzeichung Luchs-
pergers oder des Meisters von Mauer fügt sich wohl dazu. Mit Recht ist sie der Richtung
des Kefermarkter Meisters und seiner zu dem einstigen Zwettler Altar in Adamstal
reichenden Nachfolge gegenübergestellt worden, um den Gegensatz von oberem und
unterem Donauland zu bezeichnen, so enge Schulverbindung auch zwischen diesen
Meistern besteht.
Die besondere Rolle, die Wien in der Kunst des Donaulandes spielt, läßt sich aus
dem Zwiespalt verstehen, der zwischen der eben geschilderten bodenständigen Art und
der historischen Aufgabe der Stadt vom Beginn ihrer Geschichte bis in die jüngste
Vergangenheit entscheidend war. Die künstlerisdien Forderungen, die in der Residenz
der Herzoge und später der Kaiser gestellt wurden, entsprachen dem, was zu allen