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Michio Yoshihara, Malen mit einem Fahrrad, 1956
krieg.«3 In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ent
brannte in Tokio, wo sich ständig neue Künstiergruppen
formierten und wieder aufiösten, eine heiße Diskussion
über die Rolle, die die Künstler im Krieg gespielt hatten.
Der soziale Realismus, dem es trotz seiner Popularität an
innovativen, ausdrucksstarken Ideen fehlte, galt damals
als Hauptströmung der Kunst. In der Kunstszene der
Kansai-Region (einschließlich den drei größten Städten
Osaka, Kyoto und Kobe) hingegen war von dieser chao
tischen Situation nicht viel zu spüren. Die Künstler der
Gutai-Gruppe fanden hier somit die idealen Vorausset
zungen für die Verwirklichung ihrer »epochemachenden
Idee in der Malerei«.
In Kansai experimentierte zu dieser Zeit eine Reihe von
Künstlergruppen und Formierungen auf ihrer Suche
nach neuen Ausdrucksformen mit diversen Medien. So
wurde z. B. 1952 das Genbi Contemporary Art Council
{Gendai Bijutsu Kondankai) gegründet. Junge und eta
blierte Avantgarde-Künstler aus der Kansai-Region tra
fen sich einmal im Monat zu einer Diskussionsrunde und
organisierten insgesamt drei Ausstellungen, an denen
sehr unterschiedliche Künstler teilnahmen: Yoshihara
und Waichi Tsutaka, die damals zu den bedeutendsten
abstrakten Malern der Kansai-Region zählten; junge
Künstler, die später den Kern der Gutai-Gruppe bilden
sollten; Shiryu Morita, der nicht nur auf japanische, son
dern auch auf amerikanische Maler großen Einfluß aus
übte; eine Gruppe innovativer Kalligraphen wie Yuichi
Inoue und Sogen Eguchi, die mit Morita die treibende
Kraft hinter einer Avantgarde-Bewegung in der Kalligra
phie darstellten, und schließlich Vertreter neuer Formen
in der Plastik und Architektur. Des weiteren traf sich
noch eine ganze Reihe von anderen Künstlern aus den
verschiedensten Bereichen - Design, Keramik und Ike
bana -, wobei der Ideenaustausch und die gemeinsame
Genbi-Ausstellung im Vordergrund standen. Morita und
Inoue gründeten 1952 Bokujinkai, eine avantgardistische
Kalligraphengruppe, die die Zeitschrift Bokubi heraus
gab. Diese enthielt eine Leserrubrik namens »alpha«, in
der kalligraphische Werke veröffentlicht wurden, die
Kreativität vor Konvention stellten. Dort gingen auch
Werke von mehreren jungen Künstlern, die sich später
der Gutai-Gruppe anschlossen, ein, und Yoshihara und
andere entschieden, welche Beiträge veröffentlicht wur
den. Dieses anregende kulturelle Umfeld der Kansai-
Region in den fünfziger Jahren bildete den Nährboden
für die unkonventionellen, innovativen Ideen der Gutai-
Gruppe.
Jirö Yoshihara wurde 1905 in Osaka als Sohn eines
führenden Speiseölfabrikanten geboren. Er zählte zur
ersten Generation abstrakter Maler in Japan und gehör
te zu den prägenden Persönlichkeiten der Kunstszene in
Kansai nach dem Zweiten Weltkrieg. Junge Künstler wie
Shözö Shimamoto und Tsuruko Yamazaki scharten sich
damals um Yoshihara. In der Folge kamen sich die
Künstler durch verschiedene Ausstellungen wie die
»Genbi-Exhibition«, die »Avant-Garde Exhibition by
Young Artists« im Jahre 1954 und die »Ashiya City Exhi
bition«, eine radikale, öffentlich zugängliche Ausstellung,
die Yoshihara ausgewählt hatte, näher. Daraus entstand
die Gruppe, die als »Gutai« bekannt werden sollte. Da
die Gründung weder auf ein Manifest noch auf eine ein
zelne Ausstellung zurückgeht, ist das genaue Grün
dungsdatum unklar, es scheint aber, daß die Künstler
sich ab etwa Mitte 1954 als Gruppe begriffen und sich
den Namen Gutai Bijutsu Kyokai gaben. Ihr erstes Pro
jekt war eine Zeitschrift, die den Namen der Gruppe trug.
Zwischen 1955 und 1965 erschienen vierzehn Ausgaben
von Gutai mit Berichten über Aktivitäten und Ausstellun
gen der Gruppe. In den ersten drei Ausgaben waren
3 Jirö Yoshihara, »Waga kokoro no jijo-den« (Autobiographie meines
Herzens), in: Kobe Tageszeitung, 9. Juii 1967.