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Hi Red Center, Yamanote Linie Event, 1962
Die Happenings der Gruppe Hi Red Center waren reine
und freie Aktionskunst, die sich nicht in Formen materia-
iisierte. in einer Zeit, die von Antikriegsdemonstrationen
und Studenten Protesten geprägt war, nahmen die pro
vokanten Aktionen der Gruppe auf den Straßen sofort
poiitische Bedeutung an. Die Künstier versuchten zwar
mit viei Raffinement, soiche Assoziationen zu vermeiden
und ihre Aktionen ais reine Kunst zu deklarieren, da sie
aber die Grenze zwischen Leben und Kunst in Frage
stellten, war ein Zusammenstoß mit dem herrschenden
System unvermeidlich. Eine Reihe von Arbeiten, die er
auf einer Einzelausstellung, auf der »Yomiuri Indepen-
dant«-Ausstellung und bei «Mixer Plan« gezeigt hatte,
brachte Genpei Akasegawa 1966 eine Anklage wegen
Geld- und Wertpaplerfälschung, insbesondere eines
Tausend-Yen-Scheins, ein. In dem vier Jahre dauernden
Verfahren, das als »Tausend-Yen-Schein-Prozeß« be
kannt wurde, wurden zahlreiche Künstler und Kritiker
von der Verteidigung als Zeugen geladen. Es handelt
sich um einen der seltenen Fälle, in dem man in Japan
über ein Kunstwerk zu Gericht saß. Akasegawa wurde
schließlich im Mai 1970 für schuldig befunden. Ange
sichts der Tatsache, daß es über die Aktionskunst der
sechziger Jahre (abgesehen von Photographien) fast
keine Dokumente gibt, ist es als pure Ironie zu betrach
ten, daß wir durch die Zeugenaussagen und Protokolle,
die im Zuge des Verfahrens erstellt wurden, über detail
lierteste staatliche Aufzeichnungen zu den Aktivitäten
des Hi Red Center verfügen.
Die Aktionskunst stand in Japan nach 1945 zweifellos im
Mittelpunkt des Kunstgeschehens, zwischen ihr und der
nachfolgenden Kunst kam es jedoch zu einer gewissen
Entfremdung. Während Jackson Pollocks Gestus bei
spielsweise von jüngeren amerikanischen Künstlern
unzählige Male wiederholt und neu interpretiert wurde,
bezogen sich jüngere japanische Künstler kaum auf die
Aktionsmalerei der Gutai-Gruppe, nicht einmal im nega
tiven Sinn. Auch die direkten Aktionen der Gruppe Hi
Red Center hinterließen in der Kunst der nächsten Gene
ration keine nennenswerten Spuren und wurden von der
Kritik als einmalige Ereignisse angesehen. Meiner Mei
nung nach liegt der Grund für diese Entfremdung in der
Natur der Aktionen selbst, und so scheint es mir wichtig,
im folgenden genau auf die Besonderheiten einzugehen,
die die Aktionen der Gutai-Gruppe und der Künstler der
»Yomiuri Independant«-Ausstellungen auszeichnen, und
deren theoretischen Hintergrund zu untersuchen.
Obwohl Jirö Yoshihara, die prägende Persönlichkeit der
Gutai-Gruppe, Werken, die auf der Grundlage einer
Theorie entstanden, ablehnend gegenüberstand, blie
ben die Aktivitäten der Gruppe doch nicht ohne theoreti
sche Basis. Shiraga und Shimamoto verfaßten beide
radikale Abhandlungen über die Aktionskunst, und Yo
shihara selbst veröffentlichte in der Dezemberausgabe
der Zeitschrift Geijutsu Shincho sein berühmtes Gutai
Art Manifesto (Gutai bijutsu sengen), in dem er die Theo
rie des Gutai würdevoll in Worte faßte:
Dank unseres gegenwärtigen Bewußtseins erschei
nen uns alle bisher bekannten Künste wie affektierter
Schwindel... Die Kunst des Gutai verändert das Material
nicht, sie haucht ihm Leben ein. Die Kunst des Gutai
verfälscht das Material nicht, in ihr stehen der mensch
liche Geist und das Material einander gegenüber und
reichen sich die Hand. Das Material ordnet sich dem
Geist nicht unter. Niemals herrscht der Geist über das
Material. Wenn das Material seine Integrität bewahrt
und seine Eigenschaften offenbart, beginnt es, eine
Geschichte zu erzählen, ja laut zu schreien. Alle Mög
lichkeiten des Materials auszuschöpfen, bedeutet, den
Geist auszuschöpfen, und den Geist zu erheben, heißt
auch, die Materie auf die Höhe des Geistes zu führen.'^
Wie aus den Open-Air-Ausstellungen hervorgeht, han
delt es sich bei dem besagten «Material« um Lehm und
Wasser, Vinyl und Stoff. Der Einsatz solch elementarer
Materialien kann als Teil des »fundamentalen Materia
lismus« gelten, wie ihn Rosalind E. Krauss und andere
19 Jiro Yoshihara, »The Gutai Art Manifesto«, Geijutsu Shincho,
Dezember 1956.