MAK
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Hubert Klocker 
GESTUS UND OBJEKT 
Befreiung als Aktion: 
Eine europäische Komponente 
performativer Kunst 
Das performative Kunstwerk, gleichgültig ob es Happening, 
Performance-Kunst, Body art oder Aktion genannt wird, ist ein 
ephemeres und partizipatorisches Ereignis. Als solches ist es 
in erster Linie direkt erlebbar und verliert daher nach der Rea 
lisierung seine unmittelbare Gegenwärtigkeit. In der Folge 
kann es in Form repräsentativer Objekte oder medial vermit 
telt und vergegenwärtigt werden. Der dabei stattfindende 
transformatorische Prozeß bedeutet jedoch nicht grundsätz 
lich eine Tendenz zur Preisgabe des Kunstobjekts, sondern 
weist in die Richtung eines neuen, expansiven und freien 
Werk- und Kunstbegriffes. Denn im performativen Kunstwerk 
erreicht letztlich der Akt des Denkens selbst Plastizität, er wird 
zum Gestus, der als Werk für sich selbst stehen, aber genauso 
auch wieder auf eine Neubewertung des Kunstobjekts 
zurückverweisen kann und damit den künstlerischen Spra 
chen neue Kontextmöglichkeiten und Sinnvarianten er 
schließt, 
Geschichte, auch die Geschichte der Kunst, konfrontiert uns 
mit dem Problem des Erkennens vergangener Realitäten und 
der Auseinandersetzung mit deren individueller und kollekti 
ver Erinnerung, Das Nachdenken über Vergangenheit und ihre 
Vergegenwärtigung ist nicht statisch, sondern ein ständig 
fließendes Verknüpfen von Informationen, ein unaufhörlicher 
Vorgang. Die für diesen Vorgang notwendigen Bedingungen 
sind auch durch die subjektiven Interessen des Moments und 
deren Projektion in die Zukunft im Sinne von Erwartungs 
haltungen und Visionen bestimmt. Erkenntnis von vergange 
ner Realität bildet sich aus einer Summe von Informationen 
als Ergebnis eines entweder direkten oder überkommenen 
Kommunikationsflusses. Die Garanten und Überbringer die 
ses Informationsaustausches nehmen vielfache Formen an 
und wurden im Zeitalter der Aufklärung und Moderne als 
Informationsmaschinen in ihrer Intensität und Produktivität 
potenziert. Solche Informationsmaschinen, in Form von klein 
sten bis gewaltigsten Bedeutungszusammenballungen, 
gehören in ihrer Eigenschaft als profanisierte Kulträume zu 
den Kernpunkten der modernen Gesellschaften. Sie bilden 
ein Spektrum, welches von Totalität bis zu kollektiver Teil 
nahme reicht, und geben je nachdem Gelegenheit zu 
Beeinflussung und extremer Didaktik. Sie bieten aber auch die 
Möglichkeit zu freier Selbstfindung und Selbstbespiegelung. 
Ihre entwickeltsten Formen sind die Bibliothek, das Archiv und 
das Museum. Ebenfalls in diese Kategorie gehören die neuen 
Medien, deren Datenflüsse letztlich radikal beschleunigte und 
fragmentarisierte Komponenten solcher Institutionen sind. 
Die Vermittlungsmaschinen und Kulträume sind Zeichen 
äußerer Macht der sie schaffenden und betreibenden Gesell 
schaften, sie stehen auch den anderen Apparaten dieser 
Gesellschaften zur Verfügung und sind in ihren komplexen 
Organisationsformen selbst Symbole im ZeitfluB. Es muß aber 
darauf hingewiesen sein, daß ihre Bedeutung letztlich in der 
Summe des von ihnen zu Vermittelnden liegt. 
Eine der komplexesten Informationseinheiten ist das Kunst 
werk. Es ist sozusagen Träger der individuellsten, aber 
möglichenweise auch kollektivsten Metasprache, denn es ver 
wendet nicht nur die überkommene gesprochene oder 
geschriebene Sprache, sondern erfindet durch seine eigene 
Form neue Informationssysteme in einer individuellen, aber 
dennoch kollektiv erlernbaren und verständlichen Zusam 
menballung von Bedeutung. Das ästhetisierte Objekt wird 
damit sozusagen zum Testfall der gesellschaftlichen Kommu 
nikationsbereitschaft. Der Künstler als Erzeuger dieses 
Objekts ist der Agitator, der das Kollektiv mit seiner ver 
schlüsselten Botschaft herausfordert und es zu ununter 
brochener Kommunikation zwingt. Daraus folgt Bewegung 
und Erkennen. Das Kollektiv wie der Einzelne sind aufgerufen, 
diesen Kommunikationsfluß auf allen Ebenen zu garantieren. 
Das ästhetische Objekt besitzt also in erster Linie eine ener 
getische, man könnte auch sagen, sinnstiftende oder 
metaphysische Eigenschaft, die sich letztlich aus einem Kom 
munikationsprozeß speist. Sie kann am Quantum der agita- 
tiven Fähigkeiten, mit denen das Objekt ausgestattet ist, 
gemessen werden. Nun ist aber gut funktionierende Agitation 
abhängig von einem Wechselverhältnis aus Kommuni 
kationsoffenheit und gleichzeitiger Verhüllung. Die individuelle 
Metapher als zentraler Bestandteil dieser Verhüllungsstrate 
gie der Kunst funktioniert wie eine Energiequelle. Das Ausmaß 
ihrer Komplexität steht in einer Wechselwirkung mit der Gül 
tigkeitsdauer des ästhetischen Objektes. Im Idealfall würde 
diese energetische Quelle niemals verlöschen, und das Agi 
tationspotential des Objekts wäre daher endlos gegeben. 
Das Verlangen nach dem Besitz solcher Objekte, das Sam 
meln und Ausbeuten ihrer sinnstiftenden Eigenschaften, steht 
im Zentrum der Konzeption der Informationsmaschinen und 
legitimiert ihre Existenz. Die idealistische Konzeption des 
Sammelns kann jedoch vom modernen, aus seinem Selbst 
verständnis heraus zu autonomem Schaffen neigenden 
Künstler nicht bedenkenlos hingenommen wenden. Denn ist 
er in diesem Punkt Kollaborateur, wäre die Kunst kollektiv 
funktionalisiert und würde ihre erreichte Autonomie verlieren. 
Der Kommunikationsfluß würde einfrieren und damit seiner 
agitativen Fähigkeiten als dem eigentlichen Kern seines 
Wesens beraubt. Deshalb befindet sich der Künstler der 
Moderne und ihrer Avantgarden stets in einem kritischen
	        
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