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des Ostens, die noch lange nicht abgeschlossen ist und letzt
lich nur eine Etappe in der schnell fortschreitenden Globali
sierungstendenz der Kulturen bedeutet, bis heute an.
Aus historischer Sicht fand in der ersten Hälfte des 20. Jahr
hunderts eine Neuordnung der politischen und ideologischen
Machtverhältnisse der westlichen Welt und eine radikale
Änderung kultureller Paradigmen statt. Diese Umwertung war
der endgültige Anfang vom Ende einer eurozentristischen
Weitsicht des Westens und wird heute durch die Globalisie
rung und die zunehmenden ideologischen Freiräume
abgelöst. Nicht zufällig begann in den fünfziger Jahren eine
international ausstrahlende expansive Phase der amerikani
schen Kunst. Für die New Yorker Künstler war die damals
propagierte Freiheit gleichzusetzen mit der Befreiung von der
europäischen Geisteswelt der totalitären Ideologien und vom
geschichtlichen Ballast der europäischen Kunst. Barnett
Newman hat dies als wortgewaltiger Demagoge der Abstrak
ten Expressionisten als die »Geometrisierung« in der
europäischen Kunst bezeichnet. In seinem »Statement« für
den Katalog der Ende der fünfziger Jahre vom Museum of
Modern Art organisierten, geradezu demonstrativ propagan
distischen Ausstellung »The New American Painting« geht er
in knappen Worten direkt zum Kern seiner Theorie.' Schon im
ersten Satz spricht er von der »Geometrie« als einem »death
image«, welches unweigerlich bekämpft werden müsse. Im
Zuge des Textes werden die »principles of geometry« als Prin
zipien einer Kunst des Ersten Weltkrieges bezeichnet, die die
Kunst nach wie vor ans 19. Jahrhundert fesseln. Newman
spricht hier den Umstand an, daß die wesentlichen, für ihn
gültigen modernen Avantgarden ihre Konzepte in den ersten
zwei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts formuliert und ent
wickelt haben. Seine eigenen Arbeiten würden jedoch in
keinerlei Verbindung zu diesen Konzepten stehen, und er
fordert eine Zurückweisung von Picassos Kubismus und
Mondrians Purismus, da diese nur in einem collagierten
Schema von frei assoziierten Formen enden könnten. Im
übrigen seien, so Newman, auch Miro und Malewitsch in
derselben Falle gefangen (»caught in the same geometric
trap«). So lange diese überkommenen Prinzipien nicht mit
allen Mitteln bekämpft und neue Möglichkeiten entdeckt und
entwickelt würden, gäbe es keine Hoffnung auf Freiheit.
Newmans Text und der Grad seiner Kritik an den beiden zu
dieser Zeit in den USA bekanntesten europäischen Künstlern
6 Barnett Newman, »Statements: From The New American Paint
ing«, in: Selected Writings and Interviews, Berkeiey 1990, S. 178.
7 ibid., S. 94.
der Gegenwart repräsentiert in exemplarischer Weise die
Position und offensive Selbstsicherheit, welche die neue ame
rikanische Malerei der New York School und der Abstrakten
Expressionisten gegen Ende der fünfziger Jahre erreicht hat.
Begonnen haben diese Künstler in der kritischen Aus
einandersetzung mit den sich damals im New Yorker Exil
befindlichen und die aktuelle Diskussion bestimmenden Sur
realisten. Vor allem in den Arbeiten Gorkys, Rothkos und
Pollocks ist dieser Ansatz immer präsent, weniger bei Still und
Newman. Doch gerade letzterer schreibt im Frühjahr 1945
einerseits vom Tod des Surrealismus, muß diesem aber, unter
dem Einfluß der damals die USA erreichenden horriblen Pho
todokumentationen aus den deutschen Konzentrations
lagern, wiederum künstlerische Wahrhaftigkeit und authenti
sche Qualität zugestehen. Newman bezieht sich dabei auf die
prophetischen Dimensionen der schockierenden surreali
stischen Tableaus.' In jedem Fall hat er aber in seinen
inzwischen vor mehr als fünfzig Jahren verfaßten manifest
artigen Texten das Gelände für eine Diskussion abge
steckt, die Diskurs und Dialog in der amerikanischen und
europäischen Kunst und Kunstkritik bis in unsere Tage
bestimmt und die vor allem in den beiden Jahrzehnten nach
Kriegsende, auch vor dem Hintergrund der neuen politischen
Verhältnisse zwischen Europa und Amerika, intensiv geführt
wurde. Darüber hinaus hat er, so wie auch Alan Greenberg, an
einer Neubestimmung des Begriffs der Moderne gearbeitet,
um diesen, losgelöst von den europäischen Konzeptionen
und deren Verbindung mit der trotzkistischen Interpretation,
für eine gerade entstehende amerikanische Position zu beset
zen und New York somit auch auf dem Gebiet der Kunst einen
hegemonialen Platz zu sichern.“
1958 eröffnete in der Basler Kunsthalle die von Dorothee Mil
ler, einer einflußreichen Kuratorin des New Yorker Museum of
Modern Art, für Europa zusammengestellte Ausstellung mit
dem Titel »The New American Painting«. Der erfolgreiche
Abschluß in der Londoner Tate Gallery wurde in New York mit
einer Party im Skulpturengarten des MOMA gefeiert. Alfred
Barr und den Mitgliedern des International Committees des
Museums war ebenso wie den anwesenden Gästen aus der
Kunstszene klar geworden, daß das Projekt den beabsichtig
ten Effekt erzielt hatte. Gezeigt wurden unter anderen Arbeiten
von Pollock, de Kooning, Newman, Still, Guston, Motherwell,
Kline, Rothko und Francis, deren Werke endgültig deutlich
8 Siehe dazu: Serge Guilbaut, How New York Stole the Idee of
Modern Art: Abstract Expressionism, Freedom and the Cold War,
Chicago 1983.