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Valie Export, Tapp- und Tastkino, 1968
düng zum Konzept eines Vereinten Europa, der durch die Öff
nung des Ostens plötzlich aktualisierten geopolitischen Lage
und einer verstärkten Analyse der verhängnisvollen Rolle des
Landes in der Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus
scheint diese Starrheit der provinziellen Selbstbeharrung
tatsächlich ihrem Ende zuzustreben.
Will man die Radikalität und auch den Grad an Agitation der
in dieser österreichischen Wirklichkeit entstehenden Avant
garden begreifen, so muß man sich vor Augen halten, daß die
Kunst in Österreich keine gleichwertige Parallele zu den avant
gardistischen Formulierungen der klassischen Moderne
Europas entwickeln konnte. Denn die österreichische Moder
ne in der Malerei ging, kaum daß sie begonnen hatte, bereits
während des Ersten Weltkrieges wieder zu Ende. Es blieben
die um den Verlust der Identitäten kreisenden heroischen
Einzelpositionen in der Literatur des frühen Wittgenstein, in
den Schriften von Kraus, Musil, Kafka, Trakl und Canetti. Die
bildende Kunst Österreichs hat nach dem Tod Schieies, dem
Selbstmord Gerstls und dem Exil Kokoschkas keine gleich
wertigen Leistungen mehr aufzuweisen. Erst in der Zweiten
Republik, nach 1950, bilden sich in manchen Werken wie bei
spielsweise jenen Arnulf Rainers und Maria Lassnigs, aber vor
allem mit dem Kreis der "Wiener Gruppe«' und in den sechzi
ger Jahren mit dem »Wiener Aktionismus«« Positionen, in
denen die Kunst wieder Kontakt zu den Entwicklungen der
Moderne findet und in zum Teil schwierigen Prozessen auf die
österreichische Wirklichkeit Bezug nimmt. Aus diesen
entwicklungsgeschichtlichen Bedingungen heraus ist es
bezeichnend, daß die Wiener Gruppe als eigentlich erste wirk
liche österreichische Moderne in einer literarischen bzw.
sprachphilosophischen und nicht bildkünstlerischen Tradition
steht. Artmann, Rühm, Wiener, Bayer und Achleitner konnten
sich auf die oben beschriebenen literarischen Leistungen und
vor allem auch auf die sprachkritischen Positionen Witt
gensteins und des Wiener Kreises berufen. Tatsächlich
gehörte Oswald Wiener zu den ersten, die nach dem Krieg
Wittgenstein und Mauthner lasen, und die Entwick
lungsgeschichte der Wiener Gruppe ist eng mit den Posi
tionen dieser Denker verbunden; sie nimmt in der Folge, bei
spielsweise in den Arbeiten Rühms, bereits früh struktur
analytische und konkrete Positionen ein.
Die Wiener Gruppe formierte sich um etwa 1952 aus der
Szene der Wiener Künstlerclubs der Nachkriegszeit. In den
literarischen Werken dieses Kreises zeigte sich in der öster
reichischen Kunst erstmals in aller Radikalität eine
Strukturkritik, die Literatur und Kunst als Repräsentation