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Zentrum des Aktionsentwurfs von Nitsch stehende Opfer 
geste des Jahres 1962 zu einer umfassenden performativen 
und dramaturgisch aufgebauten Collage entwickelt. Aus 
dieser Perspektive betrachtet, waren alle bis heute durchge 
führten Aktionen Nitschs Demonstrationen und Proben für 
die im Sommer 1998 erstmals vollständig durchgeführte und 
sechs Tage lang dauernde große Realisation des Orgien- 
Mysterien-Theaters. 
1969 starb Rudolf Schwarzkogler durch einen Sturz aus dem 
Fenster seiner Wohnung. Bereits 1966 hatte er die letzte und 
möglicherweise im Sinne seines Arbeitskonzepts vollständig 
ste Aktion durchgeführt und ein dichtes photographisches 
Oeuvre hinterlassen. Für ihn war das performative Kunstwerk 
erst im dialektischen Umgang mit der Photographie vollstän 
dig; in diesem Punkt steht er für einen wesentlichen Aspekt 
des Wiener Aktionismus. In den Photoserien, die während der 
ausschließlich für die Photographen realisierten »Aktionssit 
zungen« entstanden, erreichte die Thematik des Verhältnisses 
von Photographie und performativem Kunstwerk sowie von 
Objekt und Gestus einen vorläufigen Flöhepunkt. Fleute, aus 
der bereits beträchtlichen zeitlichen Distanz, vergißt man 
manchmal, daß im Zentrum der von Brus, Mühl, Nitsch und 
Schwarzkogler seit Beginn der sechziger Jahre entwickelten 
Werkpositionen das ereignishafte Kunstwerk steht. Dieser 
Rezeptionsmechanismus ist im übrigen auch bei Beuys 
beobachtbar. Erst mit der präzisen Vergegenwärtigung der 
einzelnen Aktionen kann auch bei ihm vom performativen 
Ereignis auf die Objektinstallationen wie beispielsweise den 
Beuys-Block in Darmstadt geschlossen und vergleichende 
Erkenntnisse gewonnen werden. So wie bei Beuys werden 
auch die Aktionen der Wiener Künstler In ihrer jeweiligen indi 
viduellen Ausformung von einer umfangreichen Aura reprä 
sentativer Objekte begleitet. Aus einer traditionell besetzten 
Sichtweise tendiert man jedoch eher dazu, diese Objekte als 
für sich selbst stehende, autonome Kunstwerke zu betrach 
ten. Deshalb ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, daß 
diese Objekte entweder direkt oder im Kontext letztlich immer 
auf den ereignishaften Gestus der Aktionen verweisen. Das 
Objekt ist Entwurf, Ikone, Dokument, Annäherung, Analyse, 
Indiz, Lesezeichen - Brennpunkt und auch Schatten der 
aktionistischen WIrkllchkeitskunst. 
Steht beispielsweise bei Beuys, durchaus auch analog zu 
seinen künstlerischen Wurzeln in der Skulptur, das Ver 
hältnis von Gestus und Objekt im Sinne einer Ausdehnung 
des Skulpturenbegriffs in die Rauminstallation im Vorder 
grund, so nimmt bei den Wiener Aktionisten, vermutlich 
aufgrund ihrer starken Konzentration auf die Körperperfor 
mance, die Photographie eine wesentliche Position ein. Ab 
1963 entstand eine umfangreiche Bilddatenbank zu den 
Aktionen von Brus, Nitsch, Mühl und Schwarzkogler. Vor 
allem dieses Material versetzt uns heute In die Lage, den per 
formativen Gestus der Aktion zumindest bis zu einem 
gewissen Grad nachvollziehen zu können, denn nur Nitsch 
macht sein Gesamtkonzept des Orgien-Mysterien-Theaters 
nach wie vor erlebbar oder hat dieses in der räumlichen Instal 
lation von Aktionsrelikten, von in den Aktionen entstandenen 
oder benötigten Objekten, vermittelbar gemacht. Der 1973 
entstandene Asoto-Raum ist das früheste und repräsentativ 
ste Beispiel dafür. Das Festhalten der Aktion im Photo bewegt 
sich in einem Spektrum, dessen äußerste Pole die distanzierte 
Dokumentation und die ästhetische Photographie als Bild 
sind. Dem ersteren würde in der heutigen Rezeption die wis 
senschaftlich distanzierte Analyse, dem letzteren aber das 
durch Ästhetisierung fetischierte Objekt entsprechen. Jeder 
der Künstler hat in mehr oder weniger ausgeprägter Weise 
beide Konzeptionen besetzt, und es wäre eine Vereinfachung 
zu behaupten, daß die gefrorene, durchkomponierte Moment 
photographie nur die Domäne Sohwarzkoglers war und Mühls 
Interesse ausschließlich der voyeuristischen Dokumenta 
tionsphotographie galt. Ebenso eindimensional wäre auch 
eine Kritik des photographischen Oeuvres als Regression 
der Aktion auf das Bild. 
Während anfänglich und dann wieder gegen Ende der sech 
ziger Jahre die dokumentarische Position und damit das Auge 
des Photographen dominiert, tritt etwa in der Zeit zwischen 
1964 und 1966 die Photographie parallel zur Entwicklung 
diverser, in den Aktionen verwendeter Materialsprachen in 
eine ästhetische und analytische Phase. Die Künstler nehmen 
mehr Einfluß auf den Entstehungsprozeß, weil ihnen die 
Eigenschaften des Mediums bewußter werden. Schwarz 
kogler sieht beispielsweise das Photo als eine Möglichkeit, 
durch die der Künstler sich ganz auf den performativen 
Gestus des ereignishaften Kunstwerks der Aktion konzentrie 
ren und sich damit »vom Zwang, die Relikte zum Ziel zu 
haben«, befreien kann. Diese Sicht gilt im Grunde auch für 
seine Künstlerfreunde, und so entstehen in dieser Zeit jene 
Photographien, die man heute unmittelbar mit dem Wiener 
Aktionismus verbindet. Als Beispiele seien hier Schwarz 
koglers Mann mit dem Fisch auf dem Rücken, das durch eine 
schwarze Linie geteilte Gesicht von Brus, Mühls Akt mit 
Regenschirm und Nitschs Torso mit Seitenwunde aus der 
photographischen Bilderflut herausgegriffen. 
Außerdem beschäftigten sich in diesen Jahren vor allem Mühl 
und Brus mit der Möglichkeit der Verwertung der Photo-
	        
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