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Franz Erhard Walther, Werksatz, (Vorführung) 1967
spräche stellt er das als befreiend gedachte Handlungs
angebot des partizipatorischen Objekts entgegen. Er sagt:
»Ich mache keine Sachen die man entschlüsseln muß.«^’^ Der
Künstler als Subjekt entzieht sich in der Arbeit Walthers dem
Werk, und die performative Kunst läßt das Objekt als erzähle
rischen Symbolträger hinter sich. An seine Stelle tritt das
konkrete, reduzierte Kunstwerk, das wie ein rein funktionali-
stisches Werkzeug die Rahmenbedingungen für den Hand
lungsraum bestimmt und ordnet. Walthers partizipatorische,
den performativen Prozeß immer mitbedenkende Objekte
erzeugen, im Gegensatz zu Beuys’ magischer Auffassung von
Wirklichkeit, einen überschaubaren und meßbaren Raum, Erst
im Umgehen des Erfahrungswilligen mit den Objekten ver
vollständigt sich das Werk als solches. In diesem Sinne
verwandelt Walther den Betrachter in einen Produzenten und
setzt einen Bewußtwerdungsprozeß voraus, der diesem das
Werk durch Handlung vermittelt und ihm in dieser Erfahrung
das Gefühl der Ganzheit, Geschlossenheit, der Erkenntnis
und Akzeptanz seiner selbst gibt.
Diese reduzierte und damit konzentrierte Direktheit des Erle
bens ist ebenso im Werk von Jochen Gerz evident. Auch bei
ihm ist das zentrale Thema der Versuch, das Trennende zwi
schen Repräsentation und Wirklichkeit durch Bewußt-
machung tatsächlich zu überwinden. In der M>eit Ausstellung
von Jochen Gerz neben seiner photographischen Repro
duktion, die 1972 in Basel durchgeführt wurde, wird dieser
Prozeß durch eine Analyse des Verhältnisses zwischen dem
Künstler und seinem potentiellen Publikum in Gang gesetzt.
Dabei hat sich gezeigt, daß ein Großteil der vorbeieilenden
Passanten vor allem an der photographischen Abbildung
interessiert waren und eine direkte Kontaktaufnahme mit der
sich darstellenden Person vermieden wurde. Das komplizierte
Verhältnis zwischen Abbildung und Realität, zwischen Objekt
und Gestus wird durch diesen einfachen Akt offengelegt, der
mehr Manifestation eines Gedankens denn eine wissen
schaftliche Untersuchung ist. Hinter der aktionistischen
Demonstration steht bei Gerz eine zutiefst kulturkritische Hal
tung. Für ihn ist Kunst regressiver Ersatz für nicht gelebtes
Leben und für Verlust von Authentizität. Diese Grundhaltung
drückt sich in der weiteren Entwicklung seiner Arbeit einer
seits in Textkritik und Textanalyse, andererseits in Arbeiten zur
Rückholung von Naturerlebnissen aus.
Die hier beschriebenen Positionen innerhalb der Avantgarden
performativer Kunst in Deutschland, Österreich und der ehe
maligen UdSSR sind, unabhängig von inhaltlichen und
formalen Differenzen wie auch vom unterschiedlichen Zeit
punkt ihrer Entstehung, grundsätzlich von Konzepten der
Versöhnung und Heilung geprägt. Sie wurden in Gesell
schaften entwickelt, deren Kulturen jene totalitären Systeme
und Persönlichkeiten hervorbrachten, die in der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts unter größten Katastrophen und Ver
brechen eine lange andauernde europäische Epoche
beendeten. Die Werke der Künstler verbinden das zum Teil
erschütternde und authentische Wissen um die erlebte Wirk-
25 Siehe dazu: Bernd Growe, »Werk-Handlung«, in: Das Haus in
dem ich wohne - Die Theorie zum Werkentwurf von Franz Erhard
Walther, Klagenfurt 1990, S. 120.