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Lea Lublin konstruierte in Argentinien und Chile eine Reihe
großer Partizipations-Environments. Jedes war in gewissem
Sinn eine »Welt«, die der Besucher erforschen konnte, eine
Welt, die aus sinnlichen und metaphorischen Elementen
bestand, die die Künstlerin in einer systematischen, didakti
schen Folge kombinierte. Fluß unter dem Tunnel (Fluvio
Subtunal, 1969) erstreckte sich über 900 Quadratmeter. Diese
Arbeit war teilweise vom Bau eines Unterwassertunnels zwi
schen den Städten Rosario und Santa Fe inspiriert und stellte
die Beziehung von Natur und Technologie in Frage. Besucher
durchquerten neun Zonen (u. a. die Quelle, Zone der Winde,
technologische Zone, Tunnel, Naturzone und Partizipations
gebiet). Das Flerz der Arbeit war der lange, luftgefüllte Plastik
tunnel, in den man praktisch hineingesogen wurde, den man
durchquerte und aus dem man, in klarer Analogie zu körper
lichen Prozessen, wieder ausgestoßen wurde. Die beim
avantgardistischen Institute de Telia in Buenos Aires aufge
baute Arbeit Terranauten (1969) entsprach von der Form her
einem spiralförmigen Labyrinth. Barfuß und mit einem
Minenarbeiterhelm ausgestattet, bahnten sich die Besucher
ihren Weg durch das Labyrinth und entdeckten dabei im
Lichtschein ihrer Lampen einige Grundlagen des Lebens
(Erde, Wasser, Sand, Holz, Samen, Zwiebeln, Kartoffeln usw.).
Auf ihrem Weg umgaben sie Gerüche, taktile Empfindungen,
Musik und Leuchtbotschaften, Auf einem Gemüsehaufen
stand ein Schild mit der Aufschrift: »Kunst wird Leben sein.«
Beim Ausgang gab es eine »Denkkammer«. Lublin hat diese
Werke als frühe Stadien ihres lebenslangen Projekts beschrie
ben, »die kulturelle Konditionierung von Vorstellung und
Wahrnehmung, von Gesehenem und Vertrautem in Frage
zu stellen«.“' Es waren Experimente zur Überprüfung der
Möglichkeit einer »mehrdimensionalen Wahrnehmung, die
sich gleicherweise auf unsere psychischen, sinnlichen und
inteliektuellen Erfahrungen auswirkt«.“ Das klingt einiger
maßen vernünftig, doch ging die Herausforderung unserer
»visuellen Konditionierung« bald so weit, daß sie den norma
tiven Geboten des Staates in die Quere kam. Als Lublin im
Argentinien der sechziger Jahre diese in erster Linie spie
lerischen Vorschläge machte, mußte sie sich gegen Ein
mischungen und Zensur verteidigen. Sie schuf zuweilen
Arbeiten, die diesen Prozeß selbst in humorvoller Weise doku
mentierten (z. B. ihre Photomontage Ein Polizeioffizier liest ein
Werk von Lea Lublin, 1972).
Eine gewalttätige Antwort der Polizei auf derlei Harm
losigkeiten erscheint zwar unlogisch, legte aber vielleicht
Zeugnis davon ab, daß die Künstler die herrschenden Werte
grundsätzlicher in Frage stellten, als es den Anschein hatte.
Ein Werk wie das von Victor Grippo wurde, trotzdem der
Künstler sich bewußt zu einer Philosophie der minimalen
Störung oder »minimalen Sensibilisierung« bekannte, in die
sem Sinne auch einmal zur Zielscheibe. 1972 drang die Polizei
in eine öffentliche Ausstellung im Zentrum von Buenos Aires
ein und zertrümmerte den Traditionellen ländlichen Brot
backofen, der dort vorübergehend von Grippo, dem Künstler
Jorge Gamarra und dem Landarbeiter A. Rossi errichtet wor
den war. Im Ofen wurde Brot gebacken und an die Passan
ten verteilt, um die Polarisierung von Stadt und Land
in Argentinien darzustellen.
1974, auf dem Höhepunkt des Staatsterrors mit seinen
Todeskommandos und den zahlreichen Verschwundenen,
wurde Leopoldo Malers Onkei, der bekannte Herausgeber
einer führenden liberalen Zeitung in Argentinien, verhaftet und
anschließend ermordet. Beim Betrachten der Schreib
maschine seines Onkeis in dessen Haus »kam mir plötzlich
21 Jerome Sans, »The Screen to the Real: Interview with Lea 22 Lea Lublin. »Proc^s ä l’image - elements pour une reflexion
Lublin«, in: Lea Lublin: Memoire des lieux, memoire du corps, active«, in; Lea Lublin: Present suspendu, Paris 1991, S.106.
Quimper 1995, S. 57.