MAK
Susan Hiller, Street Ceremonies 
(Straßenzeremonien), 1973 
tographierten sie. Aus dem Übereinanderlegen der einzelnen 
Traumkarten entstanden zusammengesetzte Karten. Diese 
Arbeit warf komplexe Fragen über den Einfluß des Ortes 
auf die ganz spezifische Lebensgeschichte auf, wie sie sich 
im Traum jedes Individuums und in seiner Art des »Karto- 
graphierens“ widerspiegelte; außerdem stellte sich die Frage, 
ob die Piizringe die Teilnehmer in irgendeine Art von Gemein 
schaft brachten. Doch ging es Füller nicht um »Ergebnisse«. 
Sie betonte stattdessen einen Prozeß, der Menschen für die 
Grenze zwischen Individuum und Gesellschaft, Privatem und 
Öffentlichem sensibilisierte und in eine Unsicherheit versetzte, 
die sie zum Nachdenken anregte. Dieses faszinierende 
Experiment und auch verwandte Untersuchungen wie Street 
Ceremonies (1973), deren Auswirkungen noch heute radikal 
sind, waren »bewußt untheatralisch. Sie wurden unter kreativ 
Gleichwertigen durchgeführt, im Sinne einer kollektiven 
Anstrengung, für die alle Beteiligten verantwortlich sind«, 
schrieb die Künstlerin. »Individuelle Erfahrungen, Reaktionen 
und expressive Akte dienten als Aspekte einer Struktur..., die 
das Gefühl der geteilten Subjektivität verstärken sollte.« “ 
Protagonisten 
Es gibt keine Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, die die 
sen partizipatorischen Experimenten den ihnen gebührenden 
Platz einräumen würde.^ Sie wurden nicht in die Namensliste 
der jüngsten Kunstbewegungen aufgenommen, und das muß 
daran liegen, daß - obwohl wir wissen, daß der Kunstmarkt 
wahrscheinlich aus fast allem eine verkäufliche Ware machen 
kann - diese Werke immer noch die herrschenden Konven 
tionen der Kunstinstitutionen durcheinanderbringen. Oiticica 
verglich seine Projekte mit vielfältigen und wuchernden 
»Mutter-Zellen«, Medalla beschrieb die seinen als »endlos« 
(.»Ich könnte leicht die Tate Gallery überschwemmen«”). Lygia 
Clark meinte, daß ihre Experimente grundlegend das 
Schöpfungsmodell veränderten, das aus der Trennung von 
Künstler und Zuschauer, Subjekt und Objekt resultiert. Für sie 
war aber nur diese Beziehung wichtig, und nicht, ob ein 
Künstler ein Objekt oder einen Live-Event geschaffen hat. Aus 
diesem Grund unterschied Clark ihre Arbeit von vielen Formen 
der Body art und Performance und vertrat die radikale 
Position, daß diese Formen den Mythos vom Künstler »bis zu 
einem Grad« perpetuieren, »an dem der Mythos selbst zum 
Gegenstand der Vorführung wird«. In ihren Arbeiten blieb sie 
diesen Prinzipien treu. Gleichzeitig aber hatten die Partizi 
pationsexperimente ein ganzes Feld ungeahnter Möglich 
keiten eröffnet. Sie führten klar vor Augen, daß, wie Füller es 
formulierte, »Identität kollektiv ist, und das Ich multipel«. »Mein 
Ich ist ein Ort für Träume, Gefühle und Empfindungen, und 
keine undurchdringliche körperliche Grenze. ICFI BIN KEIN 
CONTAINER.«” Es gab viele Formen der Darstellung und 
Anwendung dieser erweiterten (oder, wenn man eine 
Gleichung zwischen den Implikationen der Dualität hersteilen 
möchte, fragmentierten) Sicht des Ichs, viele Wege, möchte 
man fast sagen, die afte Form des »Selbst-Porträts« zu ver 
wandeln. Ein Gattung wie die »Performance« wurde deshalb 
zu einem Ort komplexer Auseinandersetzungen zwischen der 
Präsentation einer Figur vom alten, monolithischen Typus und 
derjenigen eines multiplen Ichs, einer fließenden Identität, 
die nicht durch die Negation des »Anderen« konstruiert wird, 
sondern viele Dinge zugleich sein kann. 
Natürlich wandeln sich auch die Zeiten, mal sanft, mal brutal. 
Vielleicht entspricht selbst der brutale Wandel einer gewalt 
tätigen Form von Konflikten, wie es sie immer gab und zu 
denen Künstler immer Stellung bezogen haben. Die Antwort 
der Künstler in Brasilien auf das Trauma der Militärdiktatur (die 
in den frühen Siebzigern ihren Flöhepunkt erreichte) sollte man 
28 Susan Hiller, zitiert in: Susan Hiller (wie Anm. 7), S. 50. 
29 Eine Ausnahme ist Frank Poppers Art - Action and Participation, 
New York 1975, eines der gewissenhaften und großzügigen 
Bücher, die er über die Kunst der sechziger und siebziger Jahre 
verfaßte. 
30 Steve Thorn, Interview mit David Medalla, in: Exploding Galaxies 
(wie Anm. 26), S. 110. 
31 Lygia Clark, »De la suppression de l'objet«, in: Macula, 1, Paris 
1973, S. 118. 
32 Susan Hiller, Sisters ofMenon, London 1983.
	        
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