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Artur Barrio, Situation T/T, 1969
anhand der Gesamtheit aller Befreiungsstrategien analysie
ren, die von der brasilianischen Avantgarde erforscht wurden
- eine Leistung, deren Auswirkungen zu bedeutend waren,
um einfach ignoriert zu werden. Die Subtilität dieser künstle
rischen Antworten stand kennzeichnend für die Vitalität und
die kulturelle Bedeutung dieser Strategien.
Artur Barrio kommt aus einer expressionistischeren Richtung
als Clark, Oiticica oder Pape, in seiner Vorgeschichte fehlt das
Element einer konstruktivistischen Ordnung. Auf einem ande
ren Weg fand er zu einem ähnlichen (brasilianischen? oder
vielleicht genauer für Rio de Janeiro typischen - cahoca?)
Ethos, »der uns in das Reich des Zufalls, des Chaos’, in den
unkontrollierbaren Fluß des Lebens schleudert«.“ Barrio
bringt eine charakteristische Position gegenüber der
Wirklichkeit und dem Zuschauer zum Ausdruck; »In meinen
Arbeiten werden Dinge nicht angedeutet (dargestellt): sie wer
den gelebt. Und man muß in sie eintauchen. Mein Werk hat
ein Eigenleben, weil wir alle es sind.«“ An der Wende zu den
Siebzigern organisierte Barrio in Rio und in anderen Städten
mehrere Events, in denen er Trouxas Ensangüentadas (Blutige
Bündel) einsetzte, grausig suggestive Objekte, die er vor dem
Museum (Museu de Arte Moderna, Rio, 1969) liegen ließ,
damit sie in den Straßen der Stadt verstreut oder an den
Flußufern angeschwemmt würden: fest verschnürte und mit
menschlichem Abfall (Blut, Fingernägeln, Flaar, Speichel,
Urin, Kot, Knochen), mit Toilettenpapier, alten Zeitungen,
Bandagen, Essensresten, Tinte, Filmstückchen, usw. voll
gestopfte Stoffbündel. Die Photos von Vorübergehenden, die
mit diesen auf dem Boden liegenden Objekten konfrontiert
wurden oder die unheimliche Besudelung der Natur wahr
nahmen, die die Bündel anrichteten, vermitteln das starke
Gefühl einer fernen Autorität, die Grausamkeiten gegen die
Menschen begeht. Doch Barrio beschreibt seine Trouxas
auch abstrakter als »aufwiegelnde Objekte« und »kumulative
Energiezentren«“. Er bestand darauf, daß sein »Abfall« - aus
gestreut im Verlauf provokativer Events, die meist von der
Polizei unterbrochen wurden - gleichzeitig eine Neubelebung
der Kunst und ein sozialer Protest war.
In Cildo Meireles' Die Bergpredigt: Fiat Lux (1973 - 79) waren
die Darsteller als Bodyguards des Präsidenten oder Geheim
polizisten verkleidet und umringten einen großen Stapel ver-
33 Marcio Doctors, »0 Todo Nos/The All of Us«, in: Situagöes: Artur
Barrio: Registro, Rio de Janeiro 1996, S. 6.
34 Artur Barrio, zitiert ibid., S. 6.
35 Ibid., S.16.