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Kerry Tengrove, An Eight-Day Passage
(Ein achttägiger Durchbruch), 1977
Stuart Brisley, Moments of Decision/Indecision
(Augenbiicke der Entschlossenheit/Unentschlossenheit),
Warschau 1975/1998. Tate Gallery, London
Performances, die Unterdrückung und Widerstand miteinan
der verflochten, Sylvia Ziraneks Poseur, dessen Worte und
Attribute ihren vorstädtischen Charakter sowohl spöttisch
definierten als auch phantastisch überzeichneten, Rose
Englishs Entwicklung von der Solo-Darstellerin zur Künstlerin
herrlicher, gleichzeitig unterhaltsamer und tiefgehender Live-
Events, in denen eine Menge Theatersprachen zum Einsatz
kamen und hochbegabte Akrobaten und Zauberer gemein
sam mit »Durchschnittsmenschen« in einer verzauberten
Arena philosophischer und kosmologischer Forschung auf
traten. Viele dieser Künstler begannen in den Siebzigern und
gelangten in den Achtzigern zur Reife. Künstler, die schon in
den Sechzigern Performances aufführten, wie Cariyle Reedy
und David Medalla, lieferten auch in den Achtzigern brillante
neue Arbeiten, die leider nicht in die Zeitspanne fallen, die
dieser Aufsatz behandelt.
Stuart Brisleys früheste Performances gingen von der Grenze
zwischen Körper und Skulptur aus. Er verwendete häufig
Körperabgüsse, und die Darsteller selbst glichen weißen
Puppen, die in einem geometrischen Rahmen ausgestellt
wurden. Obwohl, wie der Kritiker Paul Overy anmerkte, der
Zeitrahmen als bevorzugtes Strukturelement die Räumlichkeit
in Brisleys Live-Arbeiten"= ersetzte, gab es eine gewisse Statik.
Das Verstreichen der Zeit während der Performance intensi
vierte den Eindruck der einzelnen Bilder. Brisley bestritt die
Rolle des Subjektiven in seinen Aufführungen: »Das Werk
nimmt die eigenen Probleme des Künstlers niemals ernst.-'"'
Oder, wie der Kritiker John Roberts gesagt hat:
Die Welt dunkler Dinge, in der Brisleys Kunst sich aufhält,
entsteht nicht durch das Wirken des nach innen gerichte
ten Geistes, sondern durch den, der sich nach außen, auf
jene »Mechanismen der Macht« - Familie, öffentliche
Institutionen, Staat -, die unsere Leben in unzähligen, all
gegenwärtigen Formen ordnen, richtet.
Indem er seinen eigenen Körper als metaphorischen oder
allegorischen Ort benützt, fährt Roberts fort, »agiert und
kommentiert Brisley, wie das Individuum sich unstet und
glücklos zwischen Autorität und Freiheit hin- und herbe
wegt«®. Das Grundprinzip zeigt erstaunliche Ähnlichkeiten mit
dem von Carlos Leppe in Chile, der einige Jahre später unter
scheinbar ganz anderen Umständen arbeitete. Es mag sein,
daß das absolute Durcheinander, der Gestank und die
abstoßenden Aspekte von Brisleys Performances Ausdruck
seiner Entschlossenheit waren, die glatte und selbstzu
friedene Oberfläche moderner kapitalistischer Staaten zu
durchbrechen, die sich über Flinfälligkeit und Mangel rück
sichtslos hinwegsetzten, und hierbei, so Brisley, auch durch
die Kunstwelt unterstützt werden. Auf der documenta von
1977 erhielt Brisley einen Platz im Freien neben dem Künstler
Walter de Maria, dessen Vorhaben, einen dünnen Messing
stab einen Kilometer tief in die Erde zu versenken, von einem
amerikanischen Millionär finanziert wurde.
Brisley ging daraufhin an einen anderen Platz in Kassel, wo er
mit Hilfe eines Mitarbeiters sein eigenes Loch mühsam mit
den Händen grub. Dann lebte er allein zwischen Schlamm
und Abfällen zwei Wochen lang auf dem Boden dieser Grube
40 Paul Overy. Einleitung, in: Stuart Brisley, London 1981, S. 8 42 John Roberts, ibid., S. 11.
41 Stuart Brisley. zitiert nach: John Roberts, ibid., S. 11.