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(links und gegen
überliegende Seite)
Rose Finn-Kelcey,
One for Sorrow,
Two for Joy
(Eins für den Kummer,
Zwei für die Freude),
1976
sein, trotzdem er nicht fetischiert werden kann. Seine
Wirksamkeit liegt im partizipatorischen Aspekt, in seiner
Vision (einer Kombination aus Sehen und Phantasie). Helio
Oiticica fertigte seine Parangoie-Umhänge für eine aktive
Partizipation an, man sollte sie tragen, in ihnen tanzen; gleich
zeitig stellten sie eine Träumerei für den Träger und den
Zuschauer dar. Sie wirken verlassen, wenn man sie auf
Kleiderbügeln im Museum ausstellt. Doch in Anwendung sei
ner ironischen und, wie er es nannte, »kritischen Ambivalenz
fertigte Oiticica auch statische Objekte, die nur in der
Phantasie zur Aktivität einluden: 1968 erzeugte er zum
Beispiel eine graue Wanne, die fast bis zum Rand mit Wasser
gefüllt war. Durch das Wasser hindurch sah man in ausge
schnittenen Lettern am Grund die Worte MERGULHO DO
CORPO (Das Eintauchen des Körpers) - Worte, die einerseits
zum Eintauchen verlockten und andererseits in gewisser
Weise seine Kunst/Lebens-Ästhetik zusammenfaßten. Dies
war eine weitere Methode, um zu suggerieren, daß nicht das
Objekt wichtig war, sondern die Art, wie es durch den Zu
schauer/Teilnehmer »belebt« wurde.
Das MOCA hat Jackson Pollock an den Anfang der
Ausstellung gestellt, als die originäre Figur, in der bildende
Kunst und Performance miteinander verschmelzen. Oiticica
bezog sich in seinen frühen Schriften oft auf Pollock, und es
war vorwiegend die Veränderung der Beziehung zwischen
Künstler, Werk und Zuschauer, die Oiticica über das Stadium
von Pollocks Drippings hinausführte. Ausgehend von der
Feststellung, daß bei Pollock das Bild im Grunde expiodiert -
sich selbst in einen »Schauplatz graphischer Bewegung«'®
verwandelt - hob er diesen »Schauplatz« aus der graphischen
Transkription künstlerischer Ausdruckskraft heraus und über
reichte ihn sozusagen dem Zuschauer. Seine Area Bolides
von 1967 - flache, rechteckige, mit Sand oder Stroh bestreu
te, umzäunte Bereiche - waren bewußt geschaffene Leer-
45 Flelio Oiticica, Tagebucheintrag, 16. Februar 1961, in: Helio
Oiticica (wie Anm. 16), S. 43.
46 Flelio Oiticica, »Eden«, ibid., S. 12.
räume, mit denen »der Teilnehmer auf der Suche nach in ihm
selbst verborgenen, »inneren Bedeutungen interagiert«, und
in denen er nicht versucht, die äußeren Bedeutungen oder
Empfindungen zu verstehen«.**
Lygia Clarks Relational Objects schlagen ebenfalls eine
Beziehung mit dem Teilnehmer vor, in der, mit den Worten
Lula Wanderleys, »das Objekt in einer »imaginären Innerlich
keit des Körpers« gelebt wird, in der es Bedeutung erhält«.''
David Medalla beschritt 1970 mit seiner bemerkenswerten
Umgestaltung des Kunstobjekts zum »Gedanken« einen
ähnlichen Weg. Als Beitrag zu einer Gruppenaussteliung
von Multiples - dem vermeintlichen Mittel zur Demokra
tisierung der Kunst in den Sechzigern - stellte Medalla seine
Ephemerais vor: Miniaturen, die jeder aus allem hersteilen
konnte, um »»einen Moment der flüchtigen Erfahrung zu er
hellen«.**
Solche Erfahrungen führten zu jener Verschmelzung von
Subjekt und Objekt, Subjektivem und Objektivem, von der
wir in gewisser Weise immer gewußt haben, daß sie existiert.
Wir wissen z.B., daß Brancusis Skulpturen in seinen Photo
graphien physisch anders aussehen als in denen anderer
Leute, daß verschiedene Ausschnitte aus dem Gesamtwerk
des gleichen Künstlers in ihrer Wirkung sehr stark variieren,
daß ein scheinbar aufgebrauchtes und entleertes Objekt wie
der neu gebildet werden kann. Das ist vielleicht eines der
großen Themen in Susan Füllers Werk: die Praxis und Poetik
der Vermittlung. »»Der Wunsch, daß alles so betrachtet werden
sollte, als habe es das gleiche Erkenntnispotential««: eine Art,
in der Welt durch Methoden des Aufzeichnens, Neuauswäh-
lens, Bearbeitens, durch Zustandsveränderungen und Kästen
in Kästen zu agieren.
Daraus folgt, daß wir auch im Museum nicht nur für die
Konservierung, sondern auch für die Neuschöpfung verant
wortlich sind.
47 Lula Wanderley, »The Memory of the Body«, unveröffentlicht,
1993. Zitiert mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
48 David Medalla, Statement, in: 3>«><>: new multiple art, London
1970, S. 54.