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KONVERSATIONSSTÜCK
Verbinde irgendeinen Teil deines Körpers
und sprich darüber.
Wenn die Leute dich nicht danach fragen, lenke
ihre Aufmersamkeit darauf und sprich darüber.
Wenn die Leute es vergessen, erinnere
sie daran und sprich weiter darüber.
Rede von nichts anderem.
-YokoOno, 1962'"
1970 posierte Valie Export nackt für ein Photo, das sie mit auf
den Oberschenkel tätowierten Strapsen zeigt, die den Rand
eines imaginären Strumpfs halten. Exports Body Sign Action
ist eine Semiotik der Versklavung des Geschlechts, ein kör
perlicher Bedeutungsträger »unterdrückter Sexualität..., die
einer Klasse zugehört, die konditioniertes Verhalten fordert«;
die Aktion sollte sie daran erinnern, das »lebendig zu erhal
ten«, was sie als »das Problem der Selbstbestimmung
und/oder Fremdbestimmung von Weiblichkeit«™ beschreibt.
Das Bild des Tattoos mag zwar betörend sein, noch eindring
licher jedoch ist die Nähe zu dem delikaten Dreieck, die das
Photo dem Betrachter erlaubt, dem Schambereich Valie
Exports. Ihre mit spärlichem Haar bedeckten Schamlippen
sind deutlich zu erkennen, neben dem aggressiven Tattoo wir
ken sie verletzlich und unschuldig. In einem einzigen Photo ist
es gelungen, nahezu das gesamte Spektrum von Schmerz,
Vergnügen und multipler Identität der Frau einzufangen: unse
ren Sex, unsere Sozialisation und unsere Repräsentation.
Weiter oben habe ich dargelegt, daß feministische Stand
punkte ihren »wichtigsten Beitrag zur Geschichte der Kunst
im Bereich der Aktionskunst« geleistet haben. Aus diesem
Grund möchte ich mich hier an zentraler Stelle meines
Aufsatzes mit den Kunstaktionen von Frauen gesondert aus
einandersetzen, obwohl ich den Tag herbeisehne, an dem
ein Sonderteil für ganz gleich welche Gruppe nicht mehr
notwendig sein wird.
Selbst ein flüchtiger Blick auf Performances von Frauen in den
letzten vierzig Jahren zeigt ein kollektives Bild dieser explosi
ven, mitten aus der Kultur hervorbrechenden Energie, einer
Wut, die in multiplen Formen und häufig auch als Muitiplizität
ausgelebt wurde, Adrian Pipers Arbeit ist ein typisches
Beispiel: Wie viele feministische Performances stützt sich
auch Pipers Werk auf die Lebenserfahrung der Künstlerin und
ist als politische Analyse, als Gesellschaftskritik zu verstehen,
die in ihrer persönlichen Biographie verankert ist und die den
feministischen Slogan der siebziger Jahre »das Private ist das
Politische« widerspiegelt. Als afro-amerikanische Frau war
Piper sowohl Opfer von Rassismus als auch von Sexismus,
und in ihrer Arbeit verweigerte sie diese doppelte Aus
löschung ihrer Kultur.
Piper wuchs als Tochter hellhäutiger Eltern afrikanischer
Herkunft in Harlem auf und besuchfe überwiegend weiße,
ökonomisch bessergestellte Schulen. Sie lebte in zwei ver
schiedenen Welten. Als Reaktion auf diese Lebensumstände
begann Piper 1970 mit ihrer Reihe Catalysis. Aggressiv und
konfrontationslustig lief die Künstlerin durch die Straßen von
New York. Ihr Ziel war es, möglichst unangenehm aufzufallen,
so zum Beispiel, indem sie »einige Kleidungsstücke eine
Woche lang in einer übelriechenden Brühe aus Essig, Milch,
Lebertran und Eiern einweichte und anschließend in dieser
stinkenden Montur U-Bahn fuhr und in einem Buchladen stö
berte«.™ Oder sie trat als Mythic Being auf, als »zorniger,
zigarrerauchender Dritte-Welt-Mann mit Sonnenbrille und
Schnauzbart«.
Piper kämpfte mit außergewöhnlich kreativen und konstrukti
ven Strategien und Taktiken gegen den Aufruhr ihrer Psyche,
weil sie unversehrt, analytisch und produktiv in einer sozialen
Situation überleben wollte, in der ihre Identität beharrlich und
unaufhörlich angegriffen wurde. Die Künstlerin erklärt heute,
daß ihr Interesse an dem performativen Aspekt »der Objekt
(sie selbst) - Subjekt (das Publikum) - Dichotomie seit den
Gesprächen, die sie Anfang 1972 mit einem Psychiater auf
nahm, allmählich verflog«.®“ Der Aufsatz »Two Conceptions of
the Seif«, den Piper 1985 verfaßte, läßt vermuten, daß sich die
Selbstanalyse der Künstlerin zu einer Analyse der gegensätz
lichen philosophischen Positionen zum Thema Wesen und
Entwicklung des Ich ausweitete, der Spaltung zwischen »der
Kantschen Vorstellung [die Piper teilt], daß das Ich letztlich
von >dem angeborenen Bestreben« angetrieben würde, ’all
unsere Erfahrungen, einschließlich der Erfahrungen unseres
eigenen bewußten Verhaltens, rational erklärbar zu machen«.
77 Yoko Ono, Grapefruit, New York und London 1970, S. 11.
Grapefruit wurde ursprünglich 1964 in Tokio in einer limitierten
Auflage von 500 Exemplaren veröffentlicht.
78 Vaiie Export, Valie Export, Biennale von Venedig und Galerie in
der Staatsoper, Wien 1980, S. 46.
79 Ken Johnson, »Being and Politics««, in: Art in America, 78, 9,
September 1990, S. 156-57.
80 Rosemary Mayer, »Performance & Experience««, in: Arts
Magazine, 47, 3, Dezember/Januar 1973, S. 35.