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Shözö Shimamoto, Werk (Löcher), ca. 1950.
Museum of Contemporary Art, Tokio
Gefängnis der flachen Oberfläche entkomme ... Pollock
schleuderte dann Farbe auf die Leinwand. Er suchte nach einer
neuen räumlichen Dimension, doch alles, was er erzeugen
konnte, war Postimpressionismus, weil er die Farbe auf die
Leinwand schleuderte, obwohl er doch überdie Leinwand hin
aus gehen wollte ... Deshalb ist das >Loch' ein freier Raum,
der daher Pollock weit voraus ist.« Und tatsächlich erwiesen
sich Fontanas durchlöcherte und zerschnittene Oberflächen
als eine äußerst vielseitige Anregung für Künstler wie La Monte
Young und Peter Weibel, und seine stillen Zeichen standen
dem flüchtigeren Geist von Fluxus näher als die große Geste,
die Pollocks Beitrag ausmachte.
Zeitgleich mit Fontanas Experimenten in Italien schuf auch
Shözö Shimamoto in Japan die innovative Serie seiner Colla
gebilder Löcher(ca.1 949-52). Shimamoto begann einfach und
tastend, indem er mehrere Schichten Zeitungspapier über-
einanderklebte. Dieser Vorgang erinnerte an die japanische
Tradition der Papierbespannungen, wie sie beispielsweise
für die Konstruktion der S/iö//-Wandschirme verwendet wird.
Nachdem Shimamoto auf der zarten Papieroberfläche zunächst
gemalt und dann gezeichnet hatte, durchlöcherte er sie meh
rere Dutzend Male - zunächst zufällig und dann entschiede
ner.’« Wie bei vielen künstlerischen Experimenten, die als
Zufallsereignisse begannen, so zum Beispiel Fontanas erste
Schnitte, wurde der Zufall solange wiederholt, bis er sich in
ein formales Mittel verwandelte, das die Bildoberfläche auf-
riß und eine Spur der körperlichen Aktion des Künstlers hin
terließ. Obwohl sie weniger gestisch als Fontanas Werke sind,
weisen Shimamotos rissige und zerfurchte Oberflächen ge
wisse Ähnlichkeiten mit ihnen auf. Nach eigenen Aussagen
war er sich jedoch der damaligen parallelen Entwicklungen in
Europa, wie etwa derjenigen Fontanas, nicht bewußt. Vielmehr
hat er betont, Fontanas Werk erst ein Jahrzehnt später ken
nengelernt zu haben. Die Tatsache, daß auf einigen Werken
noch die Daten der Zeitungen, die er verwendete, erkennbar
sind, und diese zeitlich vor der Entstehung von Fontanas Buchi
und Tagli liegen, bestätigt seine Aussage.
Aus diesen bescheidenen und subtilen Anfängen heraus ent
wickelte Shimamoto Eine begehbare Arbeit (1956). Das ohne
besonderen Aufwand konstruierte und primitiv gebaute Werk
bestand aus einem schwankenden, knarrenden Laufsteg aus
einer Reihe quadratischer Flolzblöcke von jeweils dreißig Zen
timetern Seitenlange, die auf Sprungfedern montiert waren;
die Zuschauer wurden zu einem Versuch aufgefordert, darüber
zu gehen; sie sollten das Werk aktiv erfahren, anstatt es nur
passiv zu betrachten.’^ Die partizipatorische Natur dieser Arbeit
wird nicht nur durch den Vorrang der performativen Dimen
sion gegenüber der materiellen Beschaffenheit verdeutlicht;
sie bot auch Anlaß für ein verstärktes Interesse der Medien.
Es ist faszinierend zu sehen, welche Bedeutung die mediale
Berichterstattung für Shimamoto hatte (zweifellos angeregt
durch Namuths Photographien und dessen Filmaufnahmen
von Pollocks Malaktionen); die nächste wichtige Technik, die
Shimamoto einsetzte, war die Fierstellung von Gemälden durch
den explosiven Kontakt der Farbe mit der Bildoberfläche. Aus
Anlaß einer Gutai-Ausstellung, die extra für die Photographen
von Life organisiert wurde, wiederholten Shimamoto und seine
Kollegen einen Tag lang ihre vorangegangene performative
Arbeit. Bei dieser besonderen Ausstellung, die am Ufer des
Flusses Muko in der Präfektur Flyogo stattfand, schuf Shi
mamoto noch einmal sein Werk (gemalt mit einer Kanone,
1956), indem er Farbe in einen Zylinder füllte und diesen mit
einer Kanone auf eine Leinwand abfeuerte. (Nur eine Arbeit
aus dieser Serie ist erhalten geblieben, da sie sehr fragil waren,
und viele schon bei der Fiersteilung zerstört wurden.) Diese
nach den Gesetzen des Zufalls ausgeführten, extrem schnel
len und explosiven Bilder hoben die »Aktion« auf ein Niveau
von Theatralität, das sich die New York School nicht hatte
vorstellen können; gleichzeitig enthielten sie mechanische
Elemente, die die spezifische künstlerische Kontrolle über
das Endergebnis verhinderten - eine Methode, die Pollocks
kontrollierter Linearität zuwiderlief.
In den späten fünfziger und bis in die sechziger Jahre hatte
Shimamoto die Verwendung der Kanone nahezu aufgegeben
und stattdessen Gläser mit Farbe gefüllt, die er gegen flach
auf dem Boden ausgebreitete Leinwände warf. Während
Pollock Zigarettenstummel als Spuren des Entstehungspro
zesses hinterließ, wie man etwa in Wo, 7 sehen kann, hinter
ließ Shimamoto glasverkrustete Oberflächen. Bei der Aus-
16 MexandraMunroe, Japanese Art After 1945: ScreamAgainst the 17 lbid.,S.90.
Sky. Ausst.-Kat., Solomon R. Guggenheim Museum, New York
1977, S.13.