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Jürgen Klauke, The Harder They Come II, 1978. Mit freundlicher Genehmigung der Galerie Bugdahn und Kaimer, Düsseldorf
sehen und psychischen Schmerz, der so stark ist, daß er aus
geschlossen werden muß, dissoziiert oder aufgeschoben, nur
um abgetrennt und dann wieder neu erlebt zu werden. Die
Performance-Künstlerin Rachel Rosenthal, die in ihrer Arbeit
das Feld psychischen Leidens gründlich erforscht hat,
schreibt zum Thema Masochismus:
Manche von uns suchen den Schmerz. Nicht als Selbst
zweck, sondern als Technik, als Auslöser oder Ventil. Als
Weg. Schmerz kann der Weg zum Orgasmus sein, zur Auf
lösung des Ich, zu Wachstum, Verständnis und spiritueller
Erleuchtung, innerem Wohlbefinden und dem Gefühl, et
was Besonderes und Besseres in unserer Kultur zu sein.^’
In den späten sechziger und den gesamten siebziger Jahren
reagierte ein Teil der Männer auf sexuelle Revolution und
Feminismus mit einem androgynen Look, wie er vor allem für
Rockstars und Hippies typisch war. Während Filme wie
Performance (1968) - mit Mick Jagger - der Ambiguität der
Geschlechter und einer performativen Haltung zu Identität
und Sexualität Vorschub leisteten, war »Walk on the Wild
Side« auf Lou Reeds Album Transformer aus dem Jahr 1973
(produziert von David Bowie) der absolute Lieblingssong der
Drag Queens. Zu den Performance-Künstlern, die in dieses
Gebiet vordrangen, zählten Urs Lüthi, Katharina Sieverding,
Günter Brus, Michel Journiac, Gilbert & George, Vito Acconci,
Lucas Samaras, Paul McCarthy, Luigi Ontani, Jürgen Klauke
und viele mehr.
In den frühen siebziger Jahren kollaborierte Klauke häufig mit
Ulay (alias Uwe Laysiepen, der später mit Marina Abramovic
arbeitete). Die beiden schufen androgyne, transsexuelle
Bilder, auf denen Klauke bei sado-masochistisch anmutenden
Ritualen zu sehen ist, ausgestattet mit Accessoires, die männ
liche und weibliche Genitalien persiflierten. Insbesondere
Klaukes Interesse galt der unkonventionellen Darstellung von
Sexualität und Identität durch »leidenschaftslos direkte«
Selbstporträts in Photosequenzen, die den performativen
Kontext der photographischen Abbildung wie auch »ober
flächliche Vorstellungen von der Fähigkeit der Photographie«
vermitteln, »sowohl die 'Wahrheit« als auch eine eindeutig test-
91 Rachel Rosenthai, »Stelarc, Performance and Masochism«, in:
Obsolete Body/Suspensions/Stelarc, zsgest. und hrsg. v. James D.
Paffrath mit Stelarc, Davis, Kalifornien, 1984, S. 69-79. Rachel
Rosenthal studierte Tanz und Theater in Frankreich und ging
anschließend in die Vereinigten Staaten, wo sie das »Instant
Theatre« gründete, in der Frauenkunstbewegung von Los Angeles
mitwirkte und Performance Art schuf und lehrte.