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Die verstärkten Geräusche des Selbstzerstörungsprozes
ses können ein Element des Gesamtkonzepts sein.
Der Künstler kann mit Wissenschaftlern und Ingenieuren
Zusammenarbeiten.
Selbstzerstörende Kunst kann maschinell hergestellt und
am Fließband zusammengebaut werden.
Die Lebensdauer von Selbstzerstörenden Bildern, Plasti
ken und Konstruktionen kann von wenigen Augenblicken
bis zu zwanzig Jahren betragen. Sobald der desintegra-
tive Prozeß abgeschlossen ist, ist das Werk vom Schau
platz zu entfernen und wegzuwerfen.
Als öffentliche Skulpturen im städtischen Raum waren die
selbstzerstörenden Kunstwerke mit hochmodernen techni
schen und elektronischen Vorrichtungen ausgestattet, die sie
implodieren und sich selbst zerstören ließen. Diese standort
sensiblen und standortspezifischen Skulpturen erforderten
die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Künstlern und
veranschaulichten typische Aspekte des Verfalls und Ver
derbens jener Krisenkultur, in der sie entstanden waren. Das
Konzept der »Selbstzerstörenden Kunst« verdichtete einen
gewaltigen Raum von erlebter Zerstörung und Zerstörungs
technologie (und den damit einhergehenden Überlebens
ethos) in einer handhabbaren Darstellung. Der wichtigste As
pekt der selbstzerstörenden Kunst war jedoch ihr Ver
schwinden.
Metzger formulierte seine Theorie genau zwanzig Jahre, nach
dem seine Familie 1939 in Nürnberg von der Gestapo verhaftet
und er im Alter von 12 Jahren nach England geschickt worden
war. Zwanzig Sekunden entsprechen der Zeit, die die Nazis
brauchten, um seine Familie umzubringen und damit seine
persönliche Welt zu zerstören, zwanzig Jahre jedoch mußten
vergehen, bis seine eigene Selbst-Transformation gereift war.
In der Zerstörungskunst ist Zeitlichkeit der Indikator für Dauer;
sie konfrontiert das Bewußtsein mit dem Zyklus von Kon
struktion und Destruktion, der Kulturprodukten und tech
nischen Objekten ebenso eigen ist wie der Natur. Diese
Zeitlichkeit schreibt die Erinnerung an die Endlichkeit erneut in
die Psyche des sozialen Körpers ein, und bei der Neubildung
des Bewußtseins rund um das Überlebenskonzept funktioniert
ebendiese Erinnerung als affektives Agens.
116 The Museum of Modern Art, New York, Pressemitteilung vom 8.
März 1960, Bibliothek des Museum of Modern Art, Künstlerakte
Jean Tinguely.
117 Für eine vollständige Rekonstruktion nicht nur von DIAS, sondern
auch von Metzgers künstlerischer Biographie und der theoretischen
und praktischen Entwicklung der Verwendung von Zerstörung in der
Kunst Ende der fünfziger und im Laufe der sechziger Jahre siehe
Ein gutes Beispiel für Metzgers Praktik ist seine South Bank
Demonstration vom 3. Juli 1961. Auf dem Kopf eine Gas
maske als Schutzvorrichtung, spritzte Metzger Salzsäure auf
drei Nylonplanen in den Farben Weiß, Schwarz und Rot - eine
Anspielung auf Kasimir Malewitsch und den russischen
Suprematismus -, die auf 2 Meter hohe, knapp 4 Meter lange
und 1,80 Meter tiefe Rahmen gespannt waren. Die
Nylonplanen lösten sich innerhalb von 15 Sekunden nach der
Berührung mit der stark ätzenden Flüssigkeit auf. Metzgers
Aktion fand vor dem Hintergrund eines urbanen Büro
gebäudekomplexes statt, vor dem sich eine Menschenmenge
- größtenteils Geschäftsleute - versammelt hatte.
So faszinierend und originell Metzgers South Bank
Demonstration gewesen sein mag, sein Konzept der
Selbstzerstörenden Kunst wurde bereits drei Monate nach
Erscheinen seines ersten Manifeste von dem Spektakel über
schattet, das Jean Tinguelys Homage to New York bot, als es
am 17. März 1960 versehentlich in Flammen aufging. New
York - immer für eine Extravaganz zu haben - stürzte sich dar
aufhin begeistert auf Tinguely. Im Museum of Modern Art fand
das Werk die Unterstützung von Peter Selz, dem mächtigen
MoMA-Kurator für Malerei und Plastik. Das MoMA gab eine
offizielle Pressemitteilung heraus, in der das Publikum
gewarnt wurde: »Die Räumlichkeiten sind begrenzt, aber uns
ist natürlich sehr daran gelegen, die Presse und das geladene
Publikum so unterzubringen, daß alle das Schauspiel sehen
können.«”® Alfred H. Barr, Jr. (der damalige Direktor des
Museums) verglich Tinguely mit niemand Geringerem als
Jules Verne, Leonardo da Vinci, Rübe Goldberg, Piranesi,
Alexander Calder, Man Ray, Francis Picabia und selbstver
ständlich Marcel Duchamp. In Anbetracht dieses PR-
Blitzkriegs überrascht es nicht, daß Tinguely über Nacht
berühmt wurde, und sein Platz in der Kunstgeschichte gesi
chert war. Das Werk selbst war magisch und gefährlich, und
es erforderte die geballte Kraft der New Yorker Feuerwehr, um
die Flammen wieder zu löschen.
Metzgers eindrucksvollstes Werk jedoch war die Realisierung
des Symposiums zur Zerstörung in der Kunst (DIAS), das den
ganzen September 1966 über in London stattfand.Diese
multinationale, multidisziplinäre und internationale Veran-
meine unveröffentlichte Dissertation (Anm. 3) sowie zahlreiche
andere meiner Publikationen zu diesem Thema, aus denen ich in
diesem Aufsatz zitiert habe. Nicht autorisierte und nicht als Zitat aus
gewiesene Teiie meiner Dissertation enthäit auch Justin Floffmanns
Destruktionskunst: Der Mythos der Zerstörung in der Kunst der
frühen sechziger Jahre, München 1995, und Andrew Wiisons Gustav
Metzger: -damaged nature, auto-destructive arf«, London 1996.