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staltung zog fast einhundert Künstler und Dichter (größtenteils
Pioniere des Happenings und der Konkreten Poesie) aus ins
gesamt fünfzehn Ländern in Ost- und Westeuropa, den USA,
Südamerika und Japan an. All die verschiedenen Künstler und
Dichter, die direkt oder indirekt an DIAS teilnahmen, wurden
durch ihre Antwort auf das Thema Zerstörung in der Kunst ver
bunden. Allerdings bildeten sie zu keiner Zeit eine Bewegung
und gaben nie ein gemeinsames Manifest oder Buch heraus.
Sie gründeten auch keine Begegnungsstätte, um Ideen zu dis
kutieren oder auszutauschen, und stellten nach DIAS nie
wieder als Gruppe aus.”® DIAS war jedoch nicht nur ein Monat
voller Events, sondern auch eine Sternstunde der Kunst, in der
eine kleine Gruppe internationaler Künstler genau durch
dachte, kritische Ansichten darüber teilte, wie Zerstörung in der
Kunst als schöpferisches Element, als konzeptueller Rahmen,
als Lebenseinstellung und als Möglichkeit eingesetzt werden
konnte, das Material der Kunst mit gesellschaftlichen Er
eignissen und Bedingungen zu verknüpfen. Zum harten Kern
von Künstlern aus dem gegenkulturellen Underground der
Mitte der sechziger Jahre zählten Günter Brus, Henri Chopin,
Ivor Davies, AI Hansen, Kurt Kren, John Latham, Jean-Jacques
Lebel, Anna Lockwood, Otto Mühl, Hermann Nitsch, die Dutch
Provos, Yoko Ono, Raphael Montanez Ortiz, Wolf Vostell und
Peter Weibel. Zu den Künstlern, die Arbeiten für DIAS ein
sandten, aber nicht persönlich teilnehmen konnten, gehörten
Enrico Baj, Milan Knizäk, Ad Reinhardt, Dieter Roth und viele
andere, einschließlich einer Gruppe argentinischer Dichter und
Maler (Jorge Lopez Anaya, Jorge Roiger, Silvia Torras und Luis
Alberto Wells), die der argentinische Maler Kenneth Kemble
1961 unter dem Titel »Arte Destructivo« in einer Gruppen
ausstellung in der Galeria Lirolay in Buenos Aires versammelt
hatte. Kemble schickte Dokumentationen über die Aktivitäten
der Gruppe an die DIAS-Veranstalter, Photos von veränderten
und zerstörten Objekten, die sie als Skulpturen ausgestellt hat
ten, und Audiokassetten mit ihrer Destruktionsmusik und
-dichtung. Kurze Zeit nach dieser Ausstellung hatte sich die
Gruppe aufgelöst, und das ausgestellte Material tauchte erst
bei DIAS wieder auf. Zu guter Letzt nahmen noch zwei
Psychiater an DIAS teil: Ehrling Eng, ein Amerikaner, der sich
mit Vietnamveteranen beschäftigte, und Joseph Berke, ein
amerikanischer Mitarbeiter von R.D, Laing in Kingsley Hall,
dem radikalen Antl-Psychiatrie-Zentrum im Londoner East
118 Während DIAS fanden eine Reihe von Diskussionen über die
Aufführung weiterer DIAS-Events in New York City und Tokio
statt. Als Ortiz wieder zurück in New York war, organisierte er
gemeinsam mit Jon Hendricks >»DIAS: NYC«. Zwar sagten die
beiden Künstler die Veranstaltung nach dem Mord an Martin
Luther King wieder ab, 1968 fand jedoch eine DIAS-Vorschau
mit Arbeiten von Hermann Nitsch, Charlotte Moorman, Bici
Hendricks, Ortiz und anderen statt. Ortiz fungierte außerdem als
Berater für die ebenfalls 1968 von Elaine Vahan im Finch
College Museum in New York organisierte Ausstellung
»Destruction Art«. Darüber hinaus arbeiteten Jon Hendricks und
Ortiz 1967 gemeinsam an dem Event »12 Evenings of
Maniputions« in der Judson Church, New York, bei dem zahlrei
che Aktionen aufgeführt wurden, die Zerstörungsprozesse
beinhalteten, wie beispielsweise Nam June Paiks Cutting My
Arm, eine Aktion, bei der sich der Künstler mit einer Rasierklinge
lange x-förmige oder kreuzförmige Zeichen in die Arme ritzte.
Siehe Photos in: John G. Hanhardts Nam June Paik, New York
1982. S. 40.