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nent sichtbar. In Sweet Wall beispielsweise, einer im 
November 1970 in Berlin durchgeführten Aktivität, setzte 
Kaprow einen Metadiskurs über den politischen Raum in 
Gang (Teil der Aktivität war es, mit einem Mörtel aus Brot und 
Marmelade eine Backsteinmauer zu bauen), eine Meditation 
über Passah (den Exodus und die Befreiung der Israeliten), die 
seiner jüdischen Abstammung Rechnung trug, und eine end 
lose Zahl anderer möglicher Verknüpfungen zwischen der 
Arbeit, dem Objekt, dem Künstler und dem Ort, 
Kaprows Aktivitäten können im Zusammenhang mit den 
activitles von Pinchas Cohen Gan gesehen werden, die teils 
zur selben Zeit in Israel stattfanden. Die beiden Künstler 
haben nicht nur einen linguistischen Berührungspunkt, son 
dern teilen auch ästhetische und soziale Inhalte. Im Frühjahr 
1973 meißelte Cohen Gan in die Wand der Yodfat Gallery in 
Tel Aviv aus Schichten von Farbe und Gips die Skulptur Place, 
die Hohlform einer aufrecht stehenden Figur. Anschließend 
versah er die Figur mit Haken und forderte die Besucher auf, 
die Position der figuralen Darstellung an der Wand einzuneh 
men. Der in Marokko geborene israelische Künstler erklärte, 
seine Absicht sei es, »den physischen und sozialen Raum [als] 
symbolische Auferlegung von Präsenz in Materie darzustel 
len.«’® Place zählte zu Cohen Gans ersten Aktivitäten, einer 
Werkgruppe, die er zwischen 1972 und 1974 ausführte, und 
in der er sein Leben zur Schablone machte, indem er ästheti 
sche Formen schuf, die den Betrachter aktiv in die soziale, 
politische und kulturelle Umgebung einbezogen. 
Cohen Gans Action in the Jericho Refugee Camp (10. Februar 
1974) war Ausdruck seiner Haltung zum Jom-Kippur-Krieg. 
Bei dieser Aktivität im nordöstlichen Sektor des alten Jericho 
errichtete Cohen Gan im Flüchtlingslager eine provisorische 
Zeltunterkunft und hielt eine Vorlesung über die Bedingungen 
für Frieden in Israel »im Jahre 2000«. Die Fragen, die er im 
Laufe seiner Vorlesung aufwarf, waren für den Künstler spiri 
tueller und auch physischer Natur, denn, wie er später 
bemerkte: »Die gesetzliche Festlegung, wer ein Flüchtling ist, 
und/oder die Flüchtlingsdefinition der Vereinten Nationen 
ändern nichts an der tatsächlichen Existenz des Flüchtlings 
und an seinen Gefühlen für die Gebiete, in denen er gelebt hat 
oder durch die er geflohen ist.«’“ »Ein Flüchtling ist ein 
Mensch, der nicht an seinen Geburtsort zurückkehren kann«, 
definierte Cohen Gan. Diese Arbeit kann als eine persönliche 
Meditation darüber gesehen werden, was es bedeutet, sich 
»beständig im Zustand der Flucht« zu befinden, einen 
Zustand, den der Künstler aus seiner eigenen Erfahrung 
kennt. 
In Kaprows und Cohen Gans Aktivitäten entdeckt man etwas, 
was sich tatsächlich ereignet hat. Etwas Bestimmtes ist 
geschehen. Jemand, wie Kaprow wiederholt betont, »tut ein 
fach etwas«. Und die Tatsache, daß jemand etwas tut - daß 
jemand etwas tun kann - daß etwas geschieht und nicht 
nichts - ist äußerst beachtenswert. Diese Tatsache zeichnet 
Aktionskünstler aus. Aktionskünstler wirken als Kommissuren, 
denen die Aufgabe zukommt, Bedeutung und Bild des 
jemand tut etwas zu vermitteln. Aus diesem Grund gelten 
Performance-Künstler als so gefährlich. Sie behaupten, etwas 
könne getan werden, und dann sorgen sie dafür, daß es 
geschieht. Menschen, die dafür sorgen können, daß etwas 
geschieht, stellen ein potentielles Problem für normatives 
Verhalten und normative Werte dar. Aktionskunst ist Handeln. 
Aktivitäten sind Anschauungsunterricht im »Handeln«. 
Dafür zu sorgen, daß etwas geschieht, ist die intentionale, 
kausale Essenz eines machtvollen politischen Aktes. Indem 
man dafür sorgt, daß etwas geschieht, überlebt man. Aber 
über das nackte Überleben hinaus entsteht daraus, daß man 
dafür sorgt, daß etwas geschieht, vielleicht der Glaube, ohne 
den Leben praktisch unmöglich ist. Nicht der Glaube, der häu 
fig mit religiösem Glauben, organisierter Religion oder gar 
Gottesbegriffen in Verbindung gebracht wird. Sondern ein 
Glaube an und für sich selbst. Denn um zu überleben und 
richtig zu leben, handeln Individuen voller Glauben und mit 
dem Gefühl der Verantwortung für andere, mit denen sie sich 
zu gemeinsamem Handeln verpflichtet haben. 
VIII. Malerei-Photographie-Performance 
In einer Diskussion über Aktionskunst und ihre Objekte sollte 
nicht vergessen werden, welch zentrale Rolle die Photo 
graphie in der Verbreitung von Bildern spielt, durch die Aktio 
nen erst zu Kunstwerken werden. Zu den berühmtesten ihrer 
Art zählen die Aufnahmen von Hans Namuth, die im Sommer 
und Frühherbst 1950 in Pollocks Atelier entstanden sind. In 
diesem Zeitraum machte Namuth über 500 Photographien 
und drehte einen Schwarzweißfilm und einen Farbfilm (mit 
Paul Falkenberg) von und über Pollock bei der Arbeit. Diese 
Photos und Filme haben Pollock erst zu einer mythischen 
Figur gemacht. Seinen legendären Status verdankte er in 
139 Yona Fischer, P/nchas 140 Ibid., S. 36. 
Cohen Gan. Jerusalem 1974.
	        
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