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Joshua Neustein, The Sound of Pine Cones Opening in the Sun
(Der Klang in der Sonne aufplatzender Kiefernzapfen), Tel Aviv,
November 1973
beschrieb. Hansen verstand die mannigfaltige Welt der
Eigenschaften und Erfahrungen und verbreitete sie in
großartiger Aufmachung durch seine phantastischen Objekte
und Events. Und er entdeckte das Leben als Kunstwerk wie
der. In den letzten zehn Jahren wurde jede Kunstgeschichte,
die sich auf Künstlerbiographien stützt, verachtet und als
zuwenig »theoretisch« abgetan; parallel dazu wurde jene
kunsthistorische Tradition verurteilt, die sich mit Originalität
und Aura des Künstlers auseinandersetzt.^® Die eingehende
Beschäftigung mit dem Leben eines Künstlers, vor allem
wenn er es so lebt wie AI Hansen, wirft jedoch mehr Licht auf
die institutioneilen Praktiken, kulturellen Situationen und poli
tischen Interaktionen in der Avantgarde als die Verleugnung
dieser Biographie. Denn die entscheidenden Fragen, die
Hansens Leben/Kunst zum Thema Happening stellte, laute
ten: Von w/eviel Leben konnten sie schon handeln? In
welchem Maß waren Happenings und Fluxus imstande, sol
che Extreme einzubeziehen, wie Hansen sie leben und
schaffen konnte? Fuhren auch diese Künstler auf der dritten
Schiene? Und wenn nicht, wie schafften sie es, diesen Teil des
Lebens aus der Form der Events auszuschließen?
Es war genauso schwierig, Hansen zu akzeptieren wie ihn
abzulehnen; er schuf Situationen voller Spannungen und
Widersprüche, die erfüllt waren von den tatsächlichen dialek
tischen Bedingungen, die Situationen im Leben eben nach
sich ziehen. Hansens Leben und Lebenswerk seihst bestan
den aus einer Ansammlung von simultanen, unwiederhol
baren, unberechenbaren und unzusammenhängenden Be
gebenheiten und Aktionen, die jeglichen Versuch, Bedeutung
zu produzieren, vereitelten, während sie gleichzeitig eine be
merkenswerte Kohärenz und Einheit verkörperten. Hansen
hatte eine Überzeugung: »Kunst gewinnt immer!«. Er lebte,
wie es John Gage gelehrt hatte: ein Leben, in dem Bewußtsein
kein statischer Zustand, sondern ein Prozeß ist, in dem Kunst
den Zufall, das Unbestimmte, wahllose Aspekte von Natur
und Kultur mit einbeziehen muß, in dem Verhaltensprozesse
ein Kunstwerk ständig neu formen und in dem »die reale
Welt...nicht Objekt sondern Prozeß wird«.^°' Theoretisch
gesehen klingt so ein Leben ideal. Die Praxis sah allerdings
200 Zur Kritik der Originalität siehe Rosalind E. Krauss, »The
OriginalityoftheAvant-Garde«, in: October, 18, Herbst 1981,
nachgedruckt in: R. Krauss, The Originality of the Avant-Garde
and Other Modernist Myths, Cambridge 1985. Zur auratischen
Wirkung siehe Walter Benjamin, »Das Kunstwerk im Zeitalter
seiner technischen Reproduzierbarkeit«, in: lltuminationen,
Frankfurt/Main 1977.
201 John Gage und Daniel Charles, For the Birds: John Cage in
Conversation with Daniel Charles, Boston und London 1981, S.
80.
anders aus, wie schon das Paradoxon, daß Cage selbst
Hansen mit distanzierter Vorsicht betrachtete, deutlich
macht.2“ Der bekannte Kolumnist Jimmy Bneslin, ein Jugend
freund Hansens, erinnert sich in seinem bemerkenswerten
Nachruf auf den Künstler, daß Hansen ein Mensch war, »den
sie festzuhalten versuchten...wie alle anderen«, der aber
nichtsdestotrotz »jeden Tag bemüht war, etwas Strahlendes
und Neues in das Leben anderer Menschen zu bringen, in
dem verzweifelten Versuch, so zu leben wie alle anderen«'.
Und dann »ging er in den Himmel hinaus« wie ein Kosmo
naut.^“
Pulverisiertes Licht und das Geräusch von Wasser
Indem er natürliche und kulturelle Systeme kontrastierte,
schuf Joshua Neustein mehrere Aktions-Installationen, die
sich mit Konfliktpunkten zwischen geopolitischen Forma
tionen, staatlich geregelter Institutionalisierung von Raum und
menschlichen Bedürfnissen beschäftigten. Inspiriert von der
Tatsache, daß auf antiken Karten, in biblischen Geschichten
und in der israelischen Folklore ein Fluß in der Nähe von
Jerusalem erwähnt wird - eine Überlieferung, die israelische
und palästinensische Autoren und Maler seit langem beschäf
tigt - erfand Neustein im darauffolgenden Jahr einen »Phan
tasie-Fluß«, der, wie er es ausdrückte, »sein-sollte-und-nicht-
ist«. Jerusalem River Project: Sound of Fiowing River in the
Dry Wadi ofAbu Tor (1970) war die Antwort auf das reale und
unbewußte Bedürfnis nach »einem nassen Element in der
Landschaft von Jerusalem«. Die Aktion begann damit, daß
Neustein gemeinsam mit Gerry Marx und Georgette Battle
durch Israel reiste, um die Geräusche von all jenen Gewässern
aufzunehmen, die aus den natürlichen Quellen des Landes
hervorsprudeln. Anschließend suchte Neustein in dem trocke
nen, gebirgigen Tal vor den Toren Jerusalems einen Ort, an
dem es elektrischen Strom gab, um die aufgenommenen
Geräusche abspielen und über das Land hin erschallen las
sen zu können. Im Kloster von St. Claire wandte ersieh an die
Nonnen und erklärte ihnen, daß er für ein Kunstwerk elektri
schen Strom benötige. Die Frauen weigerten sich zunächst,
ihr Kloster als Quelle für die Kunst herzugeben, willigten
202 »Cage hatte AI gegenüber immer massive Vorbehalte. Er war
zwar empfänglich für seine physische Energie und Rastlosigkeit,
doch in jenen Tagen war Schweigen, in dem nichts passierte,
Gold«, erklärte Kaprow in einem Gespräch mit der Autorin, 12.
November 1996, State College, Pennsylvania.
203 Jimmy Breslin, »The Happening of a Lifetime«, A2.