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ligten Künstler sich nach der Schließung der ersten Gutai-Aus-
stellung dazu entschlossen, ein Feuer zu entfachen und ihre
Werke zu verbrennen. Trotz der pragmatischen Gründe, die
dieser Handlung zugrundegelegen sein mögen (die Vermei
dung von Transport- und Lagerkosten für die Werke), lenkte
sie die Aufmerksamkeit des Publikums erneut auf das krea
tive Primat der Handlung vor dem Objekt.
Nouveau Realisme
1954, ein Jahr vor dem Durchbruch der Gutai-Künstler, malte
der französische Künstler Georges Mathieu, der später eine
direkte Beziehung zu und Einfluß auf diese Künstler erhalten
sollte, sein erstes vollständig ausgeführtes performatives
Bild, La Bataille de Bouvines. Theatralisch in Künstler-Ar
beitskleidung gehüllt, mit einem Stoffhelm auf dem Kopf, und
die Beine mit Tuchstreifen umwickelt, damit die Hosenbeine
nicht störten, schuf der medienbewußte Mathieu einen
monumentalen gestischen Fries über eine gewöhnliche
Schlacht der europäischen Geschichte des Mittelalters. In einer
Folge von Strichen, Gesten, Zeichen und graphischen Spu
ren weisen die Bilder eine bemerkenswert formale und kon
trollierte Textur auf und bilden ein Gewebe aus kontrastieren
den Rot-, Schwarz- und Gelbtönen, ähnlich der Palette der
Gutai-Künstler. Indem er, im Gegensatz zu Pollocks Boden
malerei, die Leinwand aufrecht auf einer verbreiterten Staffe
le! positionierte, inszenierte Mathieu eine Geschichtsstunde,
in der die Leinwand wie eine Tafel eingesetzt wurde - eine ganze
Generation vor Beuys’ düstereren und gesellschaftlich ver
antwortungsvolleren Untersuchungen. Er wurde von da an
bekannt durch seine Performances, während derer er groß
formatige Bilder in Anwesenheit des Publikums herstellte.
Mathieu hatte beträchtliche Erfahrungen in der Kunst der
Werbung. 1947 wurde er Leiter der Abteilung für Öffentlich
keitsarbeit der United States Lines, einer amerikanischen Firma
in Paris. Außerdem hatte er Promotion für Salvador Dali, einen
der publicity-hungrigsten und theatralischsten Künstler des
20. Jahrhunderts gemacht, dessen eigene aktionistische
Malerei der dreißiger Jahre ein frühes Vorbild für einige Künst
ler in dieser Ausstellung darstellt. Es verstand sich daher von
selbst, daß Mathieu zu sorgfältig in Film und Photographie
dokumentierten Inszenienjngen von Malerei neigte. Seine über
steigerten Performances, die Aktionen für Life und andere Mas
senblätter einschließen, lassen die Wichtigkeit von Mathieus
Beitrag verschwimmen. Obwohl er in erster Linie den forma
len Eigenschaften seiner Arbeiten verpflichtet blieb, war er ein
22 Yves Klein, zit. nach: Sidra Stich, Yves Klein, Stuttgart 1994, S. 179.
Vorläufer jener Ästhetik der Eigenwerbung von Künstlern wie
Andy Warhol und Jeff Koons, die die Massenmedien geschickt
manipuliert haben. Ein anderer dieser Künstler war Yves Klein.
Klein war vielleicht der berühmteste Künstler im Umfeld des
Nouveau Realisme, einer Bewegung von überwiegend fran
zösischen Künstlern, die in den frühen sechziger Jahren auf
kam. Sie wurde offiziell am 27.Oktober 1960 gegründet, als
ihr von dem einflußreichen Kritiker Pierre Restany verfaßtes
und von einer ausgewählten Künstlergruppe unterzeichnetes
Manifest erschien. Die meisten Künstler, die sich dem Nou
veau Realisme anschlossen, darunter Jean Tinguely, Niki de
Saint Phalle und Daniel Spoerri, wendeten sich gegen die Tra
dition des Informel, das von Künstlern wie Mathieu verkörpert
wurde. Mit der bedeutenden Ausnahme von Klein gaben die
meisten von ihnen die Malerei zugunsten der Herstellung von
Assemblagen aus Alltagsgegenständen auf. Trotzdem be
wiesen sie eine Kontinuität im Verhältnis zum Informel - und
besonders zu Mathieu - durch die Vorrangstellung, die sie der
Aktion gaben, sowohl in der Herstellung ihrer Ausstellungs
objekte als auch in der Ausführung ihrer performativen Aktio
nen und in ihrer gekonnten Einsetzung der Massenmedien,
Wie Mathieu reiste auch Klein Anfang der fünfziger Jahre nach
Japan (eine Reise, die vor allem durch den Wunsch motiviert
war, Judo - eine seiner damaligen Leidenschaften - zu ler
nen). Doch als er im September 1952 dort ankam, konnten
die Gutai-Künstler, die sich als Gruppe erst 1954 formierten,
noch keinen direkten Einfluß auf seine künstlerische Ent
wicklung haben. Obwohl es schon damals experimentelle Vor
läufer von Gutai gegeben hatte, fanden die bemerkenswer
ten Durchbrüche erst 1954-55 statt. Bei seinem Besuch in
Hiroshima 1953 sah Klein jedoch die Silhouette eines Man
nes, die von dem Atomblitz in einen Felsen gebrannt worden
war - ein Bild des Schreckens, das visuell an die Höhlen
malereien von Lascaux erinnerte. Beide Quellen regten Kleins
Interesse an prähistorischen Ritualen an, obwohl das Bild in
Hiroshima im Grunde das schattenhafte Relikt einer Mensch
heitskatastrophe und keine bewußt ausgeführte Zeichnung war.
Doch Klein war tief beeeindruckt von der Tatsache, daß nach
dem Tod ein menschlicher Schatten übrigbleiben konnte; als
er 1956 Fumio Kamels Film Der Schatten auf dem Stein (Ikite-
iteyokata) sah, schrieb er: »Hiroshima-dieSchatten von Hiro
shima. In der Wüste der atomaren Katastrophe stellten sie
Beweise dar, schreckliche unzweifelhafte Beweise, und den
noch Beweise der Hoffnung für die (wenn auch immaterielle)
Permanenz des Fleisches.Dieses Bild, das durch den blei-