benden Abdruck des menschlichen Körpers auf einer Ober
fläche entstanden war, wies bereits auf d\e Anthropometrien
hin, die Klein am Ende des Jahrzehnts herzustellen begann.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Gutai-Künstler bereits be
trächtliche internationale Aufmerksamkeit erlangt. Doch
Klein erkannte seine Erfahrung in Hiroshima als künstlerische
Inspirationsquelle bereitwilliger an als die Einflüsse der Gutai-
Künstler und Mathieus. In den späten fünfziger Jahren war ihm
die Bandbreite der Gutai-Experimente sicherlich wohlvertraut:
außerdem war es historisch völlig unmöglich, daß sie Klein
kopiert hatten, wie er behauptete: »Mit großer Begeisterung
haben (die Gutai-Künstler) sich meiner Methode auf sehr selt
same Art bedient. Diese Maler haben sich einfach selbst zu
lebenden Pinseln gemacht. Indem sie sich in Farbe getaucht
haben und auf ihren Leinwänden herumgerollt sind, wurden
sie zu Vertretern eines >ultra action painting«.«^^ Etwa fünf Jahre
vor K\e\ns Anthropometrien und seinen ersten Experimenten
mit den lebenden Pinseln befand sich die Gutai-Gruppe bereits
in ihrer zweiten experimentellen Phase. Dies war für Klein sicht
lich ein heikles Thema, und so attackierte er die »verzerrten
Ideen, die von der internationalen Presse verbreitet werden«
und die eine Verbindung zwischen der Gutai-Gruppe und sei
nen eigenen Arbeiten andeuteten,^^ Es ist bedauerlich, daß Klein
diese Beziehung nicht zugab, da dies in Wirklichkeit die tief
greifenden Unterschiede zwischen seinen und ihren Arbeiten
klarer herausgestellt hätte. Einer der wichtigsten Unter
schiede bestand darin, daß die Gutai-Künstler unter dem Ein
fluß von Pollock versuchten, den Künstler/n das Bild zu brin
gen, während der konzeptueller ausgerichtete Klein dem Künst
ler den Platz eines Dirigenten zuwies, dessen Rolle darin
bestand, die Personen, die die Bilder für ihn herstellten, zu
orchestrieren und zu komponieren. So behauptete er in sei
nem Essay »Le vrai devient realite« aus dem Jahr 1960:
(Meine Modelle) wurden zu lebenden Pinseln!
Schon lange Zeit vorher hatte ich den Pinsel als zu
psychologisch abgelehnt. Ich malte mit der anonyme
ren Rolle und versuchte, eine Distanz - eine zumindest
gedanklich gleichbleibende »Distanz« - zwischen der
Leinwand und mir während der Arbeit herzustellen. Jetzt
kehrte der Pinsel wie durch ein Wunder zurück, jedoch in
lebendiger Form, Nach meinen Anweisungen wurde die
Farbe direkt und präzise durch den Körper auf die Unter
lage aufgetragen. Ich konnte konstant in der exakten Di-
23 lbid.,S. 1881
24 lbid.,S. 188.
stanz »X« von meiner Leinwand entfernt stehen und
meine Kreation so während ihres Entstehens kontinuier
lich beherrschen.
Auf diese Weise blieb ich sauber. Ich beschmutzfe mich
nicht mehr mit der Farbe, nicht einmal die Fingerspitzen.
Vor mir und unter meiner Leitung vollendete sich das Werk
in Zusammenarbeit mit dem Modeli. Ich konnte das Werk
bei seiner Geburt in der sichtbaren Welt würdig im Smo
king begrüßen...
Kleins erste Verwendung des menschlichen Körpers als
lebendem Pinsel fand, zumindest im Rahmen einer öffent
lichen Darbietung, im Juni 1958 anläßlich einer Abendgesell
schaft im Haus seines Freundes Robert Godet statt, der eben
falls Judomeister war. Sein erstes vorsichtiges Experiment
mit einem »Körperpinsel« bestand darin, ein nacktes Modell
mit seiner Erkennungsfarbe, die er als International Klein Blue
(I.K.B.) bezeichnete, zu bedecken, und es über ein riesiges
weißes Papier kriechen zu lassen, das wie Pollocks Leinwand
auf dem Boden ausgebreitet war. Das Modell benutzte seine
Hände und den Körper, um die Farbe auf dem Papier zu
verteilen, und verlieh der Oberfläche so eine körperähnliche
Textur, die sich von den blauen Monochromien unterschied,
die Klein bis zu diesem Zeitpunkt mit dem Pinsel malte. Die
Kunsthistorikerin Sidra Stich kommentierte: »Zu Kleins Miß
fallen hatte dieses Ereignis durch den Rahmen der Dinner
party und Godets erotischen Neigungen den Charakter von
laszivem Entertainment. Eigentlich hatte er damit rechnen
müssen, denn er wußte, daß Godet die Vorführung als kol
lektive, sexuelle und existentialistische Erfahrung betrach-
tefe, und er hatte nicht dafür gesorgt, eine andere Atmos
phäre zu schaffen.«
Der Zwiespalt zwischen den konzeptuellen Grundlagen von
Kleins Werk und den offensichtlich theatralischen und sen
sationellen Mitteln, die er bei dessen Ausführung anwendete,
erzeugten natürlich ein Mißverständnis über die Intentionen
des Künstlers. Einerseits wollte er einen Abstand zwischen sich
selbst und dem, was er als formale, theatralische Tricks von
Künstlern wie Mathieu betrachtete, hersteilen. Andererseits ent
schied er sich dafür, aus der Entstehung seines Werks ein Spek
takel zu machen, das er sehr gut in der Privatheit seines Ate
liers statt in der Öffentlichkeit einer Dinnerparty hätte aufführen
können. Klein wollte eindeutig beides zugleich, und so ver
anstaltete er am 9. März 1960 eine Performance, die noch weit
25 Ibid., S. 176; Erstveröffentlichung in: Zero, Nr. 3, Juli 1961.
26 Sidra Stich (wie Anm. 22) S. 172 f.