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Gerichtshof nach Rom. Anfangs hoffte Orzechowski, die Furcht vor dem Übertritt
Polens zum Protestantismus werde in Rom die Anerkennung seiner Heirat erzwingen.
Er schrieb einen Drohbrief an Julius III., dem an Frechheit kaum etwas gleichgestellt
werden kann. Doch umsonst; nach langen Jahren kam das Urtheil: Orzechowski hat sich gegen
die kirchliche Disciplin, nicht aber gegen denGlauben vergangen.DerBann wurde aufgehoben,
die Heirat aber nicht anerkannt. Nun schwindet allmülig Orzechowskis Siegesgewißheit;
der Entschluß wird immer sichtbarer, sich mit der kirchlichen Gewalt auszusöhnen. Sein
Interesse trifft mit seiner Überzeugung zusammen, die im Grunde katholisch gewesen sein
muß, da er sonst allen Vortheil aus dem Übertritt zum Protestantismus erreichen konnte.
So bringen denn Überzeugung und Interesse seine beiden bedeutendsten Schriften zur
Reife, die ersten, die er polnisch geschrieben hat, die Dialoge von der Execution
(vzmIoA oleolo kxskrm^i) und den Quincunx. Das Wort Execution bezeichnet damals
ein umfassendes, nicht ganz klares politisches Programm. Orzechowski ergreift das Wort in
der brennenden Frage, weist treffend manches Unheil nach, nimmt sich mehrerer nützlicher
Reformen an, stellt aber ein hypertheokratisches System zusammen, welches dem eifrigsten
Katholiken seiner Zeit als übertrieben und unausführbar Vorkommen mußte. Doch trotz
aller Widersprüche und Paradoxe sind einige Stellen dieser Schriften von hinreißender
Wirkung. Das religiöse Zerwürfnis;, die politischen Wirren erfüllen ihn mit einer Angst
für die Zukunft des Reiches, die in erschütternden Worten Ausdruck findet.
Sein Todesjahr ist unbekannt; wahrscheinlich starb er 1567. Durch seine leidenschaft
liche Natur, durch die unvereinbaren Widersprüche zwischen seinen Ideen und Handlungen,
erscheint er als ein interessantes Phänomen jenes frechen Übermuthes des Individuums,
welcher dem XVI. Jahrhundert eigen ist. Durch sein Talent, seine sophistische Gewandtheit,
seinen Jnstinct, immer das zu sagen, was der öffentlichen Meinung eben angenehm war,
kann er in seiner Art fast für ein Publicistisches Genie gelten. In der polnischen
Literatur aber ist er als ausgezeichneter Schriftsteller in hohem Ansehen geblieben.
Andreas Frycz Mvdrzewski ist die Hauptgestalt der politischen Literatur Polens
in diesem Jahrhundert, unter den Schriftstellern dieser Art im damaligen Europa einer
der merkwürdigsten. Er zielt auf eine organische Entwicklung aller Bestandtheile der
Gesellschaft ab. Gleiches Recht für alle (vor Allem gleiches Strafrecht), die Aufhebung
der Gerichtsbarkeit des Gutsherrn über den Unterthan, allgemeine Besteuerung (auch der
Geistlichkeit und des Adels); für die Städtebewohner das Recht, Landgüter zu besitzen,
folglich öffentliche Ämter zu bekleiden, ein oberster Gerichtshof von Bürgern aller Stände
gewählt, Verantwortlichkeit der hohen Staatsbeamten dem Reichstag gegenüber, das sind
Forderungen, die im XVI. Jahrhundert kaum anderswo gestellt wurden und deren praktische
Durchführung der ganzen Zukunft Polens eine andere Richtung hätten geben können.
Galizien. 37