Yves Klein, Leap into the Void (Der Sprung in die Leere),
Photonnontage von Harry Shunk
Die acht Abdrücke auf unterschiedlicher Höhe, die von der
jeweiligen Höhe der Sockel abhing, stammten von zwei der
Modelle, die ihre Brüste, Bäuche, Oberschenkel und Schul
tern auf die Papierfläche preßten. Alle Figuren waren unter
schiedlich, da die Abdrücke der Körper der Modelle auf dem
Papier sorgfältig komponiert worden waren. Das Wandbild
weist eine statischere Komposition auf als das am Boden ent
standene, welches mit Hilfe des dritten Modells hergestellt
wurde, das mit Farbe bemalt und dann über die Oberfläche
des Papiers gezogen wurde - eine gestische Beschwörung,
die an Shiragas Arbeiten erinnert. Und das Wandbild erinnert
gar an die Arbeit mit Blaupausenpapier, die Robert Rau
schenberg gemeinsam mit Susan Weil zehn Jahre zuvor in New
York hergestellt hatte.
Kleins Fähigkeit, scheinbar spontane Aktionen zu planen und
zu steuern, wird auf dramatische Weise von dem berüchtig
ten Photo Leap into the Void von Oktober 1960 unter Beweis
gestellt. Wie die Leere, die die Gutai-Künstler mit Anarchie zu
erfüllen versuchten, und wie die homogene Oberfläche, die
Fontana durchbrechen wollte, so war auch Kleins Sprung eine
starke Metapher für den schöpferischen Akt, sowohl in sei
ner unkontrollierten, körperlichen Ausdrucksform als auch in
der hochentwickelten Theorie, die ihn hervorbrachte. Der erste
und wahrscheinlich einzige wirkliche »Sprung in die Leere« fand
am 12. Januar 1960 statt, als Klein aus dem zweiten Stock
werk der Pariser Wohnung der Galeristin Colette Aliendy
sprang. Bernadette Allain war Zeugin dieser privaten Per
formance und bestätigte, daß kein Hilfsmittel den Fall des
Künstlers auffing. (Das Haus, von dem er später sprang, lag
gegenüber einem Judoclub, in dem er Freunde dafür ge
winnen konnte, ihn in einer Plane aufzufangen.) Obwohl ein
verrenktes Fußgelenk Kleins Sprung zu belegen schien, be
zweifelten viele seiner Kollegen den Wahrheitsgehalt seiner
Behauptung, da sie auch gegenüber den von Klein behaup
teten Levitationsversuchen Vorbehalte hegten.
Im Oktober 1960 fertigte der Photograph Harry Shunk eine
Reihe von Photocollagen an, um den Eindruck zu erzeugen,
daß Klein ohne fremde Hilfe aus dem zweiten Stock eines wei
teren Hauses etwa viereinhalb Meter tief gesprungen war, ohne
daß ein Sprungtuch seinen Fall aufgefangen hätte - ein fik-
tionalisiertes photographisches Dokument, das eindeutig
das Ergebnis einer sorgfältigen Manipulation war. Dieses
Mythen generierende Bild, das Namuths Photographien von
29lbid., S. 221.
Pollock ebenbürtig war, sollte Kleins herausragende Stellung
in der Geschichte der heroischen Gesten sichern. Obwohl das
Photo seine Behauptung, den Sprung bereits im Januar ohne
Hilfsmittel realisiert zu haben, auf ironische Weise untergrub,
hatte es selbst als Fiktion einen außerordentlichen Einfluß auf
die selbstgefährdenden Körperarbeiten der Wiener Aktionisten
und auf zahlreiche Werke der Body art der siebziger Jahre,
die auf Performances basierten. Die Arbeiten der französischen
Künstlerin Gina Pane oder des Amerikaners Chris Bürden sind
ohne Kleins Sprung als Vorläufer nur schwer vorstellbar. Und
es ist umso faszinierender zu wissen, daß Klein durch die Mani
pulation der Photographie in der Lage war, den Eindruck einer
lebensbedrohlichen Aktion zu schaffen, die ihn von der Not
wendigkeit befreite, diese tatsächlich auszuführen. So bemerkte
Stich: »Das endgültige Bild ist eine Verschmelzung der Pho
tographien des Sprungs und der Straße zu einem einheitlichen
und verblüffenden -Dokument«. Es suggeriert übermenschliche
aeronautische Kräfte, vermittelt aber auch den Eindruck ei
nes Mannes, der sein Leben aufs Spiel setzt, um zu bewei
sen, daß der Mensch in der Lage ist zu fliegen. Wie viele künst
lerische Unternehmungen Kleins besitzt diese Arbeit nicht nur
mystischen und ehrfürchtigen, sondern auch hyperbolischen
Charakter.«^®
Einer von Kleins engsten Freunden war Jean Tinguely. Zu
Beginn ihrer Laufbahn war diese Beziehung von großer Be
deutung für beider künstlerische Entwicklung. Während Tin
guely Geschwindigkeit, Bewegung und Energie einbrachte,
trug Klein eine konzeptuellere und erweiterte Vorstellung von
den Parametern der Kunst bei. Im November 1958 präsen
tierten sie eine gemeinsame Ausstellung mit dem Titel
»Vitesse pure et stabilite monochrome: Yves Klein et Jean Tin
guely« in der Pariser Galerie Iris Giert - die Alternative der
Künstler zu der kommerzielleren Galerie Internationale d’Art
Contemporain. Klein und Tinguely schufen für diese Aus
stellung sechs monochrom blaue Scheiben in verschiedenen
Größen, die mit Motoren ausgestattet und an der Wand befe
stigt wurden, und sich in verschiedenen Geschwindigkeiten
drehten. Sie stellten auch zwei freistehende Skulpturen her:
Excavatrice d’espace und Perforateur monochrome. Erstere
verfügte über eine weiße Scheibe von etwa 20 Zentimetern
Durchmesser, letztere über eine kleine rote Scheibe, die mit
einer Geschwindigkeit von 10.000 Umdrehungen pro Minute
rotierte.^“
30 K. G. Pontus Hulten,77ngue/y, Ausst.-Kat., Centre Georges
Pompidou, Musee National d’Art Moderne, Paris 1989, S.47.Kein Volltext zu diesem Bild verfügbar.
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