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Piero Manzoni. Linea lunga 1000 metri (1000 Meter lange Linie), Giuseppe Pinot Gallizio, La Caverna deH'antimatena
The Museum of Modern Art New York. Geschenk von Fratelii Fabboi (Die Höhie der Antimaterie), 1959. Galieria Martano, Turin
Editori und Ankauf
nächst Industrieller und dann Maler geworden war, eine
Maschine, um seine ersten Industriellen Bilder (Pittura in-
dustriale) herzustellen - ein Jahr vor Tinguelys Zeichen
maschine. Mit der Flilfe von schnell trocknenden Harzen, Farb-
pistolen und langen Rollen Leinwand beabsichtigte Pinot
Gallizio ganze Städte mit seiner Kunst zu überschwemmen.
In seinem 1959 erschienenen »Manifeste della pittura in-
dustriale-' schrieb er: »Die künstlerische Produktion dieser
Maschinen, die uns vollkommen zu Willen sind, wird so umfang
reich sein, daß wir nicht einmal die Zeit haben werden, sie in
unserem Geist festzuhalten; die Maschinen werden sich für
uns erinnern. Andere Maschinen werden eingreifen, um dies
alles zu zerstören, indem sie Situationen des Nicht-Werts
bestimmen; es wird keine Einzelkunstwerke mehr geben,
sondern einen Austausch von ekstatisch-künstlerischer-Luft
unter der Bevölkerung. Die Welt wird die Bühne und die Gegen-
Bühne für eine ununterbrochene Aufführung sein; die Welt wird
in einen riesigen Jahrmarkt verwandelt werden, es werden neue
Gefühle und Leidenschaften entstehen.« Das Manifest endet
mit folgender Herausforderung: »Die langen Tage atomarer
Schöpfung fingen so an. Nun liegt es an uns Künstlern, Wis
senschaftlern und Dichtem, die Erde, die Ozeane, die Tiere,
die Sonne und andere Sterne, die Luft, das Wasser und andere
Dinge von neuem zu erschaffen. Und es wird unsere Aufgabe
sein, in den Lehm zu hauchen, um den neuen Menschen zu
erschaffen, dem es zusteht, sich am siebten Tag auszuruhen.«
Pinot Gallizios industrielle Bilder waren oft bis zu neunzig Meter
lang. Für eine Ausstellung im Jahre 1959 bedeckte er den
ganzen Raum - Boden, Wände, Decke - mit einer Auswahl
dieser Bilder, die er der zersetzenden Kraft von Schießpulver,
Sonne, Wind und Regen ausgesetzt hatte. Er nannte diese
Installation Die Höhle der Antimaterie (La Caverna dell’anti-
materia) und beschrieb sie als »den Uterus der Welt«. In einer
Art, die an die Strategien der medienversierten Gutai-Gruppe
erinnerte und diejenigen der Nouveaux Realistes und der Hap
pening-Künstler vorwegnahm, organisierte Pinot Gallizio,
daß in seine Bilder gekleidete Modelle bei der Ausstellungs
eröffnung auftraten. Diese Modelle interagierten mit einem Envi
ronment, das durch den Einsatz von Licht, Farben, Spiegeln,
Parfüms und Klängen verändert worden war, deren Intensität
je nach den Bewegungen der Besucher variierte.
Jannis Kounellis, der griechische Künstler, der am häufigsten
mit der Arte Povera in Verbindung gebracht wird, einer Bewe
gung, die in Italien Mitte der sechziger Jahre in Erscheinung
trat, schuf Ende der fünfziger Jahre eine Reihe von konzep
tuellen, performativen Bildern, die mit den Experimenten von
Manzoni und Pinot Gallizio zusammenfieien. Diese Bilder
standen am Beginn seiner langjährigen Praxis, zeitliche, per-
formative und lebende Elemente in seine Arbeiten zu integrieren.
Von Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre beschäf
tigte sich Kounellis vor allem mit Buchstaben, Zahlen und
Zeichen, die, ähnlich wie Johns' Zahlenbilder, buchstäbliche
Darstellungen von Abstraktionen waren. Er bemerkte einmal,
die performative Dimension dieser Bilder betonend: »1958 oder