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Nam June Paik, Klavier Integral, 1958-63. Museum moderner
Kunst/Stiftung Ludwig, Wien
abschnitt und Shampoo auf ihn und den Pianisten David Tudor
ausschüttete, um dann das Gebäude zu verlassen. Und
bei »Fluxus Internationale Festspiele Neuester Musik«, dem
ersten offiziellen Fluxus-Festival, das im Städtischen Museum
Wiesbaden im September 1962 stattfand, führte PaikZen for
Head, eine Komposition von La Monte Young aus dem Jahre
1960 vor, deren Partitur aus dem Satz »Zeichne eine gerade
Linie und folge ihr« bestand. Paik interpretierte diese Kom
position, indem er seinen Schädel mit Tinte einrieb und damit
eine Linie auf ein schriftrollenartiges Stück Papier malte, das
auf dem Boden lag.
Ein Jahr später zeigte Paik sein ehrgeizigstes Projekt in West
deutschland-die »Exposition of Music Electronic Television«,
die in Rolf Jährlings Galerie Parnass am 10. März 1963 eröff
net wurde.'*'^ Bei dieser Ausstellung - seiner ersten - stellte
Paik drei präparierte Klaviere und dreizehn präparierte Fern
sehgeräte aus und gab so Cages Erfindung des präparierten
Klaviers eine komplexere Bedeutung, in dieser Arbeit unter
warf er das Klavier und das Fernsehgerät, zwei der verehrte
sten kulturellen Ikonen der kleinbürgerlichen Wohnstube,
einer Reihe destruktiver Aktionen, so da3 sie nicht mehr wie
gewohnt funktionierten. In einem massiven Anschlag auf die
bürgerliche Empfindsamkeit wurde das einzige überlebende
Klavier, Klavier Integral (1958-63), mit einem Mieder, einem
Staubwedel, einem Flängeschloß, Münzen, Stacheldraht und
anderen Objekten behängt. Bei der Eröffnung der Ausstellung
hackte einer der Gäste, Joseph Beuys, ein Klavier mit einer
Axt auseinander.
1964 zog Paik nach New York und traf hier mit den Fluxus-
Künstlern, mit denen er in Europa zusammengearbeitet
hatte, wieder zusammen, unter anderen auch mit seiner
langjährigen Mitarbeiterin, der Cellistin Charlotte Moorman. In
diesem Jahr spielte er in der Judson Hall Stockhausens Ori
ginale, das im Rahmen des zweiten, von Moorman organisierten
Annual Avant-Garde Festivals aufgeführt wurde. 1965 prä
sentierte er in der Galerie Bonino seine erste Einzelausstel
lung in den USA. Unter dem Titel »Electronic Art« zeigte sie
seine präparierten Fernsehgeräte, und Cage, der Paiks Arbeit
weiterhin sehr schätzte, schrieb einen Essay für den Katalog.
Die Ausstellung sollte eine große Wirkung auf die Generation
von Videokünstlern haben, die in den späten sechziger und
frühen siebziger Jahren auftauchten.
Das Studium bei Cage bewegte Yoko Ono, wie zuvor schon
Paik, von der Musik zur bildenden Kunst überzuwechseln. In
Japan geboren, ließ sie sich in den fünfziger Jahren in den USA
nieder. Sie studierte Poesie und Musik am Sarah Lawrence
College in New York und lebte in der zweiten Hälfte des Jahr
zehnts in San Francisco - in jener Zeit, als die Gutai-Gruppe
bekannt wurde. Sie betonte jedoch, daß sie zu diesem Zeit
punkt nichts von deren Performance-Aktivitäten gewußt
habe. 1960 begann Ono mit einer Serie instruktioneller Arbei
ten, die, ähnlich wie die Brechts, durch ihre Einfachkeit, Groß-
56 Für eine detaillierte Beschreibung und Interpretation dieser Aus
stellung siehe John Alan Farmer: »Circuits/Nam June Paik«, in:
ders., Art into Television, 1960-65, Diss., Columbia University
1998, Kap. 4.