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Volltext: Katalog der Wiener-Congress-Ausstellung 1896

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Wesen der Volksliteraturen erschlossen und mit Humboldt die 
Wissenschaft der Nationalität begründet hatte. Der Classicismus 
hatte mit Verachtung über das Mittelalter hinweggesehen, als eine 
Nacht ohne Licht. Nun wird diese Nacht als sternenhell gepriesen, 
und Alle wollen sich an ihrer Frische und ihrem würzigen Dufte 
erfreuen. Die deutschen Volksepen und Minnelieder werden studirt 
und erneuert, die Mundarten gepflegt, Ritterthum und Frauencultus 
ei scheinen in farbenkräftigen Bildern, die Grösse der Vorzeit wird 
angesichts der Erniedrigung in der Gegenwart gepriesen und be 
sungen, die Phantasie erwacht, der Katholicismus gewinnt die Ge- 
müther auf’s neue, an die Stelle des Olymp tritt wieder der Himmel. 
Auf diesem Boden erwächst die neue Richtung der bildenden 
Kunst, welche den Classicismus überwindet. An den Wortführern 
in der Literatur, wie Friedrich Schlegel, lag es freilich nicht, dass 
eine neue kräftige Kunst .erblühte; er wollte nur die mittel 
alterlichen Vorbilder gelten lassen; Raphael, Tizian, Correggio und 
selbstredend Michelangelo waren für ihn Verderber der Kunst, und 
während die Mengs’schen Akademiker Künstler auf pädagogischem 
Wege glaubten züchten zu können, meinten die Schlegelianer, 
dass man nichts zu lernen brauche und Empfindung und Be 
geisterung schon Alles besorge. Aber die Künstler waren ein 
sichtiger als ihre Berather und Freunde. Der Architektur will man 
die Antike überlassen, aber in der Malerei vor Allem soll das 
Quattrocento und die altdeutsche Schule erneuert werden. Wieder 
geht Dresden voran; Runge, Hartmann, Friedrich und Gerhard von 
Kügelgen wenden sich hier an der Ursprungsstätte des deutschen 
Classicismus zuerst von ihm ab. Der Sitz der Bewegung aber wird 
bald verändert, und ein Grösserer übernimmt die Führung: Fried 
lich Overbeck. Siebzehnjährig, kommt er im Jahre 1806 nach Wien 
der Romantiker unter die Classicisten. Mit Widerstreben beugt er 
sich durch vier .Jahre dem Absolutismus Fügers, aber endlich bäumt 
er sich auf und kündet der Wiener Schule die Heerfolge; mit 
Pfann, Wintergerst, Vogel und Sutter wird er von der Akademie 
relegirt. Ihnen schliessen sich Hottinger und Scheffer von Leonharts, 
hoff an, und als. geschlossene Partei mit eigenen Zielen wenden 
sie sich nach Rom, wo freiere Luft weht. Aber nicht das classische 
Rom suchen sie, sondern das * christliche. Sie siedeln sich im 
Kloster S. Isidorö an, und diese Klosterbrüder oder Nazarener, 
wie man sie nennt, revolutioniren die gesammte Malerei. Ihnen 
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