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EINLEITUNG
i vie wissenschaftliche Arbeit über den japanischen Farbholzschnitt
läuft nun über rund siebzig Jahre, denn sie setzte sehr bald nach dem
Bekanntwerden dieser Kunstblätter in Europa ein. Vieles wurde in
dieser Zeit geleistet, aber von einer wirklichen, eingehenden Geschichte
des japanischen Farbholzschnittes sind wir noch recht weit entfernt.
Die Fülle von Werken über das Gebiet täuscht darüber hinweg, aber
ein vergleichendes Studium enthüllt nur zu bald die vielen wider
sprechenden Angaben und die schwankenden Grundlagen, die oft
allzu kühne Gedankengebäude tragen. Noch kennen wir auch von
großen Meistern nicht einmal ihre genauen Lebensdaten, noch sind
uns, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ihre Lebenswerke nicht
annähernd geschlossen bekannt. Dies mag zunächst befremden bei
einer Kunstübung, deren Ende erst rund hundert Jahre zurückliegt
— denn die neueren Versuche einer Wiederbelebung des japanischen
Farbholzschnittes sollen hier nicht behandelt werden —, es hat aber
seine guten Gründe, Der Farbholzschnitt ist enger verknüpft mit dem
japanischen Leben in seiner verwirrenden Vielfalt als jede andere
Kunstübung dieses Landes. Wer ihn geschichtlich erforschen, nicht
nur ästhetisch erläutern will, der muß nicht nur ein Kenner der
Kunst, sondern auch der Gesdiichte, der Literatur, des Theaters, der
Volkskunde, der Sagen- und Legendenwelt, des Alltagslebens und
nicht zuletzt der Sprache und der Schriften Japans sein. Und diese
Eigenschaften sind kaum jemals in einer Person vereint. Dazu
kommt, daß der Farbholzschnitt in seiner Blütezeit zwar überaus
volkstümlich war, aber dennoch nicht zur „hohen“ Kunst gerechnet
wurde und daher im Lande selbst nicht die literarische Beachtung
gefunden hat, die wir erwarten würden. Die zeitgenössischen Quellen,
die zwar trotzdem nicht fehlen, sind daher, abgesehen von ihrer
schweren Zugänglichkeit für den Europäer, lüclcenhaft und wider
spruchsvoll. Zu unserem Glück ist aber eine genaue Geschichte des
japanischen Holzschnittes zwar eine selbstverständliche Forderung
der Wissenschaft, dagegen in keiner Weise eine Voraussetzung für den
künstlerischen Genuß. Wäre es nicht so, dann wäre der sehr starke
Einfluß, den der japanische Farbholzschnitt, vom französischen
Impressionismus anfangend, auf die europäischen Künstler ausgeübt
hat, unerklärlich und ebenso die hohe Schätzung, die er immer und