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Volltext: Heinrich Freiherr von Ferstel

haben sie insbesondere auch diese letzte Eigenschaft ihren Schülern mitgetheilt, so 
dass dieselben noch in dritter Generation sich der Zeichenfertigkeit rühmen können. 
Auch unserem Freunde war sie in bewunderungswürdigem Grade zu Theil geworden. 
Aber seine Anlagen und Neigungen führten ihn weiter. Architekt, wie er war oder 
werden wollte, reizten ihn doch auch die anderen Künste. Zu ihrem wahren Verständ 
nis zu gelangen, zeichnete er des Abends nach der Antike und nach dem Act und 
wurde so in Führung des Stiftes und in Auffassung und Darstellung der menschlichen 
Figur ein echter Schüler Führichs. Diese Art seiner Studien und seines Bildungs 
ganges hat gewiss zu der Vielseitigkeit beigetragen, welche ihn als Künstler aus 
zeichnete. Wenige Architekten der Neuzeit haben wie er begriffen, wie erst das Zu 
sammenwirken der drei grossen Künste, der Baukunst, der Plastik und Malerei, das 
höchste Kunstwerk zu schaffen im Stande ist. Wenige haben es verstanden, wie er, 
auch die decorativen Künste, das Kunstgewerbe, zur Mitwirkung heranzuziehen und 
seinem Gesammtplane einzuordnen, so dass auch das Kleinste keinen Missklang bildet. 
Die Harmonie seiner eigenen Persönlichkeit, das Ausgeglichene seines ganzen Wesens 
bei so vielseitiger Begabung prägt sich auch in seinen künstlerischen Werken aus, und 
dieser Charakterzug ist es vielleicht ganz besonders, der sie so anziehend, der sie zu 
Lieblingsschöpfungen für alle Welt macht. Sein Schönheitssinn, sein feines Gefühl, 
das wundervolle, so selten sich findende Mass in allen Dingen, das er besass wie ein 
Künstler der antiken, der klassischen Zeit, es sprach sich schon in seinen frühesten 
Werken aus, in Werken, die nach ihrem Stil seiner späteren Künstlerart fast wider 
sprechend erscheinen. Denn wenn Ferstel, wie wir ihn heute kennen, der vollkom 
menste, der reinste, der am meisten klassische Vertreter der erneuerten Renaissance 
im Sinne eines Bramante geworden ist, so zahlte er auch, ein Sohn seiner Zeit, in der 
ersten Epoche seines Wirkens seinen Tribut der mittelalterlichen Romantik. 
Als Ferstel im Jahre 1851 die Akademie verliess, trat er in das Atelier seines 
Onkels Friedrich Stäche ein und restaurirte und baute mit ihm Burgen und Schlös 
ser. Eine Studienreise nach Deutschland begünstigte in ihm diese Richtung. Und als 
nun gar, ihr entsprechend, eine grosse Aufgabe ihm gestellt wurde, da schien er ganz 
dem Mittelalter und seinen Stilarten verfallen. 
Ein kaiserliches Stipendium, das ihm zu Theil geworden, sollte ihn im Jahre 
1853 nach Italien führen. Da erscholl der Ruf um die Concurrenz zur Votivkirche 
nicht umsonst für ihn. Die Arbeit hielt ihn vier Monate länger zurück, und als er sie 
vollendet hatte, zog er fort in das heilige Land der Kunst. Nicht lange, so erhielt er 
in Neapel die Nachricht seines Sieges, zugleich mit dem Aufträge, sein Project nach 
vorheriger Umarbeitung auszuführen. Er zählte fünfundzwanzig Jahre, da ihm der 
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