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Volltext: Heinrich Freiherr von Ferstel

Meinem lieben Freunde Theophil Hansen 
zu seinem 70. Geburtstage. 
Jedem Menschen ist sein Lebensweg vorgezeichnet; was er schafft und wirkt 
ist ein Resultat seiner Individualität. Wie sehr drängt mich meine Empfindung dazu, 
Dir heute zu sagen, wie gerade Deine künstlerische Individualität so überaus erfolg 
reich für unsere Zeit werden musste. Und siehe da, ein Schicksal, wie es grausamer 
kaum gedacht werden kann, bestimmt, dass Deine beiden jüngeren Fach- und Kampfes 
genossen (Ferstel und Schmidt), deren Wirken mit dem Deinen während der letzten 
Decennien in innigem unmittelbaren Zusammenhänge steht, dem schönen Feste krank 
fernstehen, während gerade ihnen die Verpflichtung obliegen würde, Dich heute aut 
den Schild emporzuheben, damit nicht nur die Künstlerschaft, sondern die ganze ge 
bildete Welt Dir die gebührende Huldigung darbringen möchte. So sei es mir wenig 
stens gestattet, in flüchtigen Zeilen zusammenzufassen, was ich Dir sagen möchte, 
wenn ich so glücklich wäre, Dir heute persönlich gegenüberstehen zu können. Ich 
glaube ein besonderes Anrecht zu haben, den weittragenden Einfluss Deines künst 
lerischen Wirkens heute hervorzuheben, denn kaum irgend ein Theilnehmer des 
heutigen Festes wird Gelegenheit gehabt haben, Dein Wirken seit jener Zeit, als Du 
in Wien eine zweite Heimat gefunden hast, so schrittweise zu verfolgen als ich. 
Als junger, aber bereits der Meisterschaft naher Künstler kamst Du nach Wien 
zu einer Zeit, als unsere Bauzustände in der erdenklich tiefsten Erniedrigung sich 
befanden. Die Baukunst jener Zeit war der getreueste Ausdruck des den Staat wie 
das Volksleben beherrschenden Bureaukratismus. Das Jahr 1848 erlöste auch die 
Baukunst von dem Banne, der bis dahin auf ihr gelastet hatte. In dieser Zeit der all 
gemeinen Bewegung trafen wir junge Akademiker mit Euch jungen Architekten zu 
sammen und begierig lauschten wir Euren Lehren und Anschauungen. Künstler, jung 
und alt, Meister und Schüler verbanden sich, um als Sturmbock das morsche alte 
System niederzuwerfen, und wie damals Alles, so gelang auch das Unglaubliche. 
Das Concurrenzwesen wurde als einzige Errettung von den baubureau- 
kratischen Verhältnissen bezeichnet und nachdrücklich verlangt, und in der That 
brachte auch das Jahr 1848 die erste Concurrenz, bei der Du, sowie der Schweizer 
Müller, mit neuen glänzenderen Arbeiten hervortratest. Ihr galtet uns in der That 
als Vorbilder und Lehrer. Diese Erinnerung an 1848 möge eine schöne Frühlings- 
blüthe in dem Kranze bilden, der heute Dein jugendliches Greisenhaupt schmückt.
	        
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