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Volltext: Die Ausstellung oesterreichischer Kunstgewerbe 4. November 1871 - 4. Februar 1872

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die vortrefflichen Boule - Arbeiten von Kleihonz, Muster verschiedener 
Art, sowie die Ornamentation des Flügels von Grund, schliessen sich 
diesem Genre an, das gewiss wenige Jahre früher auf einer solchen Aus 
stellung weit reicher vertreten gewesen wäre. 
Noch mehr fehlt es an Sitzmöbeln, die diesen, einst alles beherr 
schenden Stylarten folgten. Vielleicht ist es für die Sitzmöbel noch schwie 
riger, zur Renaissance zurückzukehren, als für die Standmöbel. Für die 
letzteren ist das constructive Princip ein festes, und was an ihnen zu 
ändern war, ist mehr Gliederung und Ornamentation. Bei den Sitzmöbeln 
aber streiten zwei Principien miteinander: das constructive und dasjenige 
der äussersten Bequemlichkeit, welches an Formen festhält, die in den 
Zeiten des Rococo geschaffen wurden und in structiver Beziehung einem 
gesunden Gesetz zuwider sind. 
Es ist wohl selbstverständlich, dass, wenn wir als Vorbilder für unsere 
Standmöbel die Aufmerksamkeit auf die Renaissance hinlenken, dasselbe 
auch für die Sitzmöbel gilt, obwohl wir zugeben, dass noch eine reichere, 
bequemere und unserem modernen Gefühl mehr entsprechende Ausbildung 
des Sitzmöbels denkbar ist, als sie uns in jenen Formen vor Augen tritt, 
welche uns die Renaissance hinterlassen hat. Aber diese Formen sind die 
Grundformen, von denen wir auszugehen haben. Neben ihnen wird das 
orientalische Princip der Ueberpolsterung und vollständigen Stoffverklei 
dung, das im Divan seinen eigentlichen Ausdruck gefunden hat, in zweiter 
Linie zu berücksichtigen sein. Was die griechischen Sitzmöbel betrifft, 
so kann man von ihnen gewiss nicht sagen, wie von dem Geräthe der 
Kasten und Schränke, dass sie im Alterthum nicht zur vollendeten Aus 
bildung gekommen wären. Im Gegentheil, ihre Formen sind sehr mannig 
fach und reich geschmückt, aber sie sind ein so eigenes und eigenthüm- 
üches Genre, dass sie, um nicht Disharmonie zu. bringen, die Gestaltung 
der ganzen Ausstattung und Decoration in gleicher Art bedingen. Und 
das würde uns, worauf wir hier nicht weiter eingehen wollen, in der 
modernen Wohnung zu mancherlei Unzukömmlichkeiten führen. Die mittel 
alterlichen Sitzmöbel leiden an denselben Uebelständen wie die Standmöbel, 
und wir machen auch hier die gleiche Bemerkung, dass sie auf unserer 
Ausstellung nicht vertreten sind. 
Bedeutungsvoll den Sitzmöbeln der Renaissance gegenüber sind vor 
Allem diejenigen des 18. Jahrhunderts, deren Princip nicht im Sopha, 
sondern im Lehn- und Armsessel zum klarsten Ausdruck gekommen. 
Das Rococo, unbekümmert um die Anforderungen des Materials und die 
geschweifte Linie bedingungslos als Schönheitslinie betrachtend, unterwarf 
dieser Linie auch das Sitzgeräth, einerlei, ob es die structiven oder blos 
ornamentalen Theile, ob es die Arbeit des Tischlers oder des Tapeziers 
traf. Damit liess sich das Möbel schweifen und biegen, rein nach Bau 
und Bequemlichkeit des menschlichen Körpers, gab aber dabei alle solide 
und vernünftige Structur auf.
	        
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