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Marmorwerke bilden jetzt schon ein so bedeutendes Besitzthum Berlins, 
dass jeder ernste Kunstfreund dieselbe gesehen haben muß. Wie man 
nach München gehen muß der Aegineten halber, nach London wegen der 
Elgin-Marbles und der Rafael’schen Cartons, so geht schon jetzt jeder 
Künstler und Kunstfreund nach Berlin, der pergamenischen Alterthümer 
halber. Der größte Kunstgenuss, der mir auf meinem jüngsten Ausfluge 
nach Berlin zu Theil wurde, war die Besichtigung dieser pergamenischen 
Reliefs und Statuen, und, wenn Kleines neben Großes zu stellen 
eilaubt ist, die Betrachtung der Marmorfigur des Giovannino von Michel- 
Angelo*). Welch’ jugendlicher, echt florentinischer Reiz liegt in der 
Marmoifigui des Giovannino! welche dramatische, siegfreudige Gewalt in 
den Reliefs von Pergamon! Man sieht in den Meisseischlägen der griechi 
schen Bildhauer, welche am Hofe der Attaler arbeiteten, eine Kunstschule, 
welche von künstlerischen Idealen eines griechischen Rubens inspirirt 
wurden. Alles ist groß und breit angelegt, voll Lebenswahrheit und un- 
gemein klar und verständlich entworfen und daher auch demjenigen geistig 
zugänglich, der eine geringere wissenschaftliche Vorbildung hat. Zudem 
liegen sie ihrer Stylrichtung nach dem herrschenden realistischen Zeit 
geschmäcke viel näher, als die Bildwerke von Olympia, die doch zu ihrem 
Verständnisse eine gewisse antiquarische Vorbildung verlangen. Es sind 
daher die pergamenischen Bildwerke viel populärer, als es in jener Zeit 
dei Fall war, in welcher zum ersten Male die aeginetischen Sculpturen 
bekannt wurden, und wo noch Canova für den Werth der Elginmarbles 
eintieten musste. Um sich aber die volle Bedeutung dieser Erwerbungen auf 
plastischem Gebiete klar zu machen, muß man sich hüten, die Erwer 
bungen des Giovannino’s und der pergamenischen Werke als nur ein 
glückliches Ohngefähr zu betrachten, welche Preußen gewissermaßen 
unverdient in den Schoß gefallen sind. Ich betone dieses mit Rücksicht 
auf Ansichten und Vorurtheile, welche in Oesterreich herrschen; die 
antiquaiischen Schätze, welche jetzt im k. Kunstmuseum aufgespeichert 
sind, sind die Frucht der ernsten geistigen Arbeit auf philologischem Gebiete, 
welche tief in dem humanistischen Bildungsgang des ganzen deutschen 
Volkes wurzelt. 
Die Erkenntniss von der künstlerischen Bedeutung der Florentiner 
Bildwerke ist erst jüngeren Datums und ein Ergebniss der jüngsten Kunst 
forschung, an dem die Engländer (insbesondere Perkins und die Prä- 
rafaeliten) einen fast ebenso großen Antheil haben, wie die Deutschen. 
Jene haben die deutschen Romantiker der ersten Jahrzehente schon ein 
dringend und mit überzeugender Kraft auf die Florentiner des XV. und 
XVI. Jahrhunderts hingewiesen, aber sie haben wenig Anklang gefunden, 
da damals die meisten Künstler sich nach akademischen und französischen 
*) Ueber den Giovannino M. A n g e I o’s berichtet eingehend das "Jahrbuch der k. 
preuß. Kunstsammlungen« Jahrg. 11, S. 72—78.
	        
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