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vielmehr entgegeiigehandelt, und auch der praktische Zweck des Ge
wandes kommt, wenn dieses förmlich schwerfällig geworden ist, schlecht
dabei weg. Weit mehr wurde diesen Eücksichten in der Zeit der ent
schiedenen Renaissance Rechnung getragen; auf einer ziemlich grossen
Anzahl Messcaseln des 16. und 17. Jahrhunderts wirkt das leichte und
doch reiche, oft recht sinnig componirte Ornament höchst gustiös; so
z. B. bei Nr. 252 (Nikolsburg), 263 und 274 (Kremsmünster), 267
(Friedland).
Eine sehr wichtige Rolle spielen bei der Ornamentirung dieses
kirchlichen Gewandstückes auch die Borten. Die Borte kann hier
logisch doch wohl nur den Zweck haben, die Saumlinien des Gewandes
und ausser ihnen allenfalls noch eine oder die andere Parallele derselben,
welche immer in einer Beziehung zu dem natürlichen Abfalle des Stoffes
(Faltenwurf) gedacht werden können, für das Auge stärker zu markiren.
Wird hiermit der praktische Zweck verbunden, durch die Borte zugleich
den Saum selbst zu verstärken und gegen Verletzungen widerstands
fähiger zu machen, so ist auch dieses wohl berechtigt. An den älteren
Messgewändern kann man nun im Allgemeinen eine gewisse discrete
Behandlung der Borte, insoweit eine solche überhaupt auftritt, unter
scheiden; ihre Schuldigkeit ist, dem übrigen Ornamente gegenüber sich
nicht vorzudrängen, sich nicht als etwas Selbstständiges geltend machen
zu wollen. Sehr stimmungsvoll wirkt es darum, wenn (wie z.B.bei Nr. 323)
die Borte durch Stickerei derselben Art, wie jene des übrigen Ornamentes,
gebildet wird, indem hier die vollständigste Stilreinheit gewahrt werden
kann. Anderenfalls ist eine durchbrochene Borte mit nicht geradlinigen
Rändern noch am ehesten geeignet, zu jedem Ornament genommen zu
werden, ohne es auffallend zu stören. Die plump aufdringlichen, gleich-
massig breite Streifen bildenden Gold- und Silberborten der letzteren
Zeit, die auf den blos aus gemustertem Stoffe geschnittenen Gewändern
häutig ^ die einzige Zierde bilden sollen, können blos insofern noch
erträglich erscheinen, als durch sie wenigstens die oft ganz rücksichtslos
und unsymmetrisch durch die eingewebten Muster geführten Schnittlinien
überdeckt werden. Auch w'enn in neuerer Zeit so gern durch die Borten
ein den ganzen Rückentheil überziehendes lateinisches Kreuz gebildet
wird, welches häufig allein durch Stickerei oder Nadelmalerei ausgefüllt
wird und damit umsomehr von den leer bleibenden Nebenflächen ab
sticht, so kann dies mit Rücksicht auf das oben Gesagte, dem blos das
Y-förmige oder Gabelkreuz entspricht, nicht als ein ästhetischer Fort
schritt betrachtet werden.
Der Seltenheit wegen mag noch eine über und über mit weissen
venetianischen Reliefspitzen bedeckte, rothseidene Messcasel aus dem
17. Jahrhundert (Nr. 266, Eigenthum eines Antiquitätenhändlers!) erwähnt
werden, sehr kostbar, sehr nett, aber auch sehr weibisch und darum
überall gern zu sehen, nur nicht beim Altäre. Und damit auch
die Caricatur nicht fehle, so fanden sich eine ganze Wand voll Mess
gewänder aus Leder ein, mit widerlich stillos aufgedruckten Blumen und
orten in Silber, Gold und Parbe, wohl das Brutalste^ was einseitig
industrielle Speculation je in die Kirche gebracht hat!
Aus dem übrigen Reste der historischen Abtheilung der Ausstellung
sollen nur noch theils wegen ihres hohen Alters, theils wegen ihrer