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Volltext: Monatszeitschrift VIII (1905 / Heft 11)

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Wir haben in diesen Beispielen immer eine sehr entwickelte Formen- 
sprache vor uns, die in gewissem Sinne die Endpunkte langer Stufenreihen 
von Zwischengliedem charakterisiert und darum dem modernen Menschen 
ihre Unnahbarkeit entgegenhält. 
Wir wenden uns nun den Beispielen zu, die in ihrer größeren Häufigkeit 
weit verbreitete Fähigkeiten ausdrücken. Die charakteristischen Platz- und 
Straßenbildungen in Gelnhausen, Braunschweig, Hildesheim, die noch 
erhaltenen Fleete in Hamburg setzen sich zumeist aus Bauwerken zusammen, 
die vorwiegend dem Kaufmannstand und dem Handwerkerstand ihre Ent- 
stehung verdanken und in der Mehrzahl dem oben geschilderten Typus des 
schmalen Familienhauses angehören. Wie aber das Fachwerkhaus an sich 
durch Wiederholung und Reihung flächenmäßig behandelter Bauglieder 
sein Leben erhält, so wird wieder die Reihung der Giebelfronten, der 
Wechsel von belebten Dachbildungen über gleichmäßiger Grundform das 
wichtigste Hilfsmittel zur Erzielung bewegter Platz- und Straßenbilder. Ins- 
besondere Hildesheim ist unerschöpflich an Abwechslung. 
Die ganz einzige Art, in der hier ein ausgebildetes Bausystem, durch 
Mannigfaltigkeit der Anwendung immer neue künstlerische Überraschungen 
bietet, gibt dieser merkwürdigen Stadt eine besondere Stellung. Die Motive 
der Detailformen nähern sich zumeist jenen, welche die Renaissancezeit auch 
dem Stein gegeben hat. Konsolen, Pilaster, Füllbretter, alles durch Schnitz- 
werk und meist mit symbolisch-figuralen Darstellungen aus der Mythologie 
der Alten oder der Bibel geschmückt, lassen das Starre des Holzgerüstes 
verschwinden, ohne aber seine grundlegende Bedeutung zu alterieren. 
All dieser reiche Schmuck wird durch seine Häufigkeit und Wieder- 
holung hier zu etwas so Gewöhnlichem, daß er nicht mehr auffällt und wie 
eine natürliche Handwerksäußerung auftritt. 
So trefflich und vollendet oft diese Detailarbeit ist, sie bildet nur den 
Ausdruck eines großen Reichtums an Phantasie und Schmuckbedürfnis, der 
aber immer von den Grenzen des Materials, von der Unterordnung unter 
das Ganze beherrscht wird. 
Sie zeugt für das hohe Niveau des Handwerks, das sich hier zu den 
schönsten Aufgaben der bildenden Kunst erhebt und läßt keinen Augenblick 
den Gedanken aufkommen, als hätte sich etwa die hohe bildende Kunst 
zum Handwerk erniedrigt, wie dies die reich geschmückten Bauten unserer 
Tage stets betonen. 
Ein Gegenstück zum deutschen Fachwerkbau bildet jener der Nor- 
mandie; Lisieux kann beinahe Hildesheim gegenübergestellt werden. Inter- 
essant ist hier die starke Betonung der Vertikalrichtung. Die Ständer wiegen 
vor; durch enggestellte vertikale Stützen, die mitunter auch reichen 
plastischen Schmuck tragen, in einfachen Fällen ganz glatt bleiben, wird ein 
konstruktives Motiv zum Flächenomament gesteigert. 
Halten wir das strenge Festhalten konstruktiver Grundzüge durch 
weite Gebiete, das regelmäßige Wiederkehren eines einheitlichen Schemas
	        
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