DAS ALTE 'sTüRIT,
es Ändert sich
DIE ZEIT UND MEU
ES LEBEN BLÜHT
AUS DEN RUINEN-
SCHRIFT UND SCHREIBUNTERRICHT
VON RUDOLF VON LflRISCH, WIEN
ch bin der Hnficbt, daß ein großer Teil der metbodifcben Er=
fabrungen, welche ficb auf die ornamentale Schrift beziehen
(und die ich in meinem »Unterricht in ornamentaler Schrift«
niedergelegt habe), auch bei der gewöhnlichen Schreibkunft mit
Nutjen anwendbar ift. □
Es ift gewiß unzweckmäßig, allen Schülern einen Duktus auf«
zuzwingen und dadurch jene nivellierende Wirkung hervor»
zubringen, welche der heutige »Scbönfcbreibunterricbt« erzielt.
Ich finde es verfehlt, im Schüler jegliches fchriftfchöpferifche Ver«
mögen durch den Unterricht zerftören zu wollen, und muß es
geradezu als Vergewaltigung bezeichnen, daß dies auf alle Buch»
ftaben, die der Schüler fcbreibt, erftreckt wird. Zeigt doch der
Lernende oft gleich im Anfänge manche intereffante und gut
brauchbare Form einzelner Buch ftaben. Diefe zu fcbonen, wäre
die Aufgabe des Unterrichtes, fo daß allmäblige Änderungen bloß
auf die übrigen unbarmonifchen Charaktere zu befcbränken
wären. □
Der für gute Handfcbriften gefcbulte Blick des Lehrers müßte
— nachdem er vorerft eine zuwartende Stellung eingenommen
hatte — aus der werdenden Handfcbrift jene Bucbftabenformen
herausfinden und beffern helfen, welche fich fcbwerer in das
Schriftfeld einordnen und den Rhythmus ftören, alfo aus der Ge«
famtwirkung berausfallen. Desgleichen jene Buchftaben, welche
zu wenig charakterifiert find und ficb dadurch von anderen äbn«
liehen Buchftaben zu wenig unterfcheiden oder welche nicht auf
das wefentlicbfte reduziert und vereinfacht find, alfo Überflüffiges
enthalten ufw. □
Hier müßte die Reform einfetjen. □
Anftatt des bisherigen Aufpfropfens eines durchaus fremden
Duktus bei fämtlichen Bud^ftaben eines Schülers, müßten die bei
ihm jeweilig als notwendig erkannten Änderungen auf einzelne
Buchftaben eingefchränkt werden. An die Stelle einer einzigen,
geiftlos zu kopierenden Vorlage müßte eine größere Anzahl gut
gewählter Vorbilder von charaktervollen, klaren und dabei doch
ornamental wirkenden Handfcbriften, an Stelle ftrenger Regeln
gut gemeinte Ratfehläge treten. □
Sind doch die konventionellen »kaligrapbifdien« Schriften mit
ihren langen Ober« und Unterlängen und ihren dünnen Haar«
ftricben weder befonders gut leferlicb, noch wirken fie ornamen«
tal reizvoll. Die Eigenfcbaft einer Werkzeug« und Materialfprache
fehlt ihnen gänzlich. Durch das gewaltfame Aufzwingen einer
folcben Schrift aber gebt einerfeits ein Teil ihrer Qualität ver«
loren, anderfeits büßt ihr Nachahmer gleichzeitig einen großen
Teil feiner guten Schreibqualitäten ein. □
So erklärt fich der ungünftige Unterrichtserfolg im »Schön«»
fchreiben, denn wirklich gute Handfcbriften werden immer feltener
und verdanken ihre Qualitäten meift dem Schreiber felbft, der,
abfeits vom Lehrgang, feine eigenen Wege ging. □
DAS ALTE STÜRZT
E'S AEMDERT SICH
DIE ZEIT UHD EIELA
E S LE DEM BLÜHT
AUS DEM RUIMBM
Als weiteren Punkt der Reform möchte ich eine größere Diflre»
renzierung bezüglich des Schreibwerkzeuges und Materiales,
fowie die Pflege und Entfaltung der bandfcbriftlicben Individualität
durch das Schreibwerkzeug empfehlen. Anftatt dem Schüler
eine Feder vorzufchreiben, müßten ihm Schreibwerkzeuge in
möglicbfter Mannigfaltigkeit und Menge geboten werden, damit
er felbft das feiner Schriftindividualität am meiften Zufagende
fucht und findet. □
Daß unter diefen Schreibwerkzeugen die beim »Kalligraphie««
unterricht empfohlene fpitpge Stahlfeder das fcblecbtefte ift, fei
nur nebenbei bemerkt. Wird doch mit ihr das Erzeugen von
Schriftformen verlangt, die aus einer anderen Welt flammen:
aus der Welt der fchräggefchnittenen Vogelkielfeder. Der Miß«
erfolg unterer Scbreiblebrer mag wohl auch in diefer Diskrepanz
ihre Erklärung finden. □
Kleinlich wirkende, fchwäcblicbe Handfcbriften, welche mit der
fonft energifchen und begabten Perfönlichkeit des Schreibers in
grellem Widerfprucbe flehen, welche alfo bloß das Refultat eines
manuellen Mankos oder der Angewöhnung find, können leicht
durch das Schreibwerkzeug, allenfalls durch Anwendung großer,
weicher »Buchfedern« (namentlich der dreifpitjigen) oder von
»Dauerfedern« aller Art geheilt werden, wobei die Ober»
und Unterlängen beizubebalten find, die n«Höbe dagegen um
das Doppelte und Dreifache zu vergrößern ift. In manchen
Fällen dürfte felbft die Anwendung von Rohrfedern, Quellftiften,
Vogelkielfedern, zugefeilten Holzftiften, Glasfedern, Linoleum«
blättcben, Punzen, Kreiden, Färb« und Schieferftiften ufw. zu
empfehlen fein, um die angeftrebte Kultur intereffanter und guter
Handfcbriften zu fördern. Auch hier müßte der Lehrer im An
fänge eine zuwartende Stellung einnebmen und erft dann ein«
zufchreiten, wenn fich der Schüler in der Wahl des Schriftwerk
zeuges vergriffen bat. □
Hierher gehört auch das Studium der Verbältniffe von Haar« und
Scbattenftricben und von der n=Höbe zur Ober« und Unterlänge
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