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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

und vor allem der in fchlicht betonte Großzügigkeit gefteigerte 
Scbwurgericbtsfaal, haben fehr zweckmäßige Kommunikationen 
und find umgeben von einem Komplex von Nebenräumen, die 
nach Zweckmäßigkeitsgründen äußerft praktifcb angelegt find. 
Überaus finnreich ift die Gefängnisabteilung angelegt. Sie zeigt 
einen Grundriß in Kreuzform, der fomit vier Höfe bildet, die 
von der Außenwelt durch die Gerichts^ und Verwaltungsge» 
bäude abgefchloffdn find. Infolgedeffen kann von außen her 
kein Blick das Gebäude des Unterfuchungsgefängniffes erreichen. 
In technifcher Hinficht ift die Beobachtungsloge des Gefängniffes 
intereffant, die fich im Kreuzungspunkt der vier Gebäudeflügel 
befindet und von einem Punkt aus die Beherrfchung aller Stock» 
werke der vier Gebäudeflügel ermöglicht. In der übrigen Aus» 
ftattung der Verwaltungs» und Gerichtsgebäude herrfcht Ein 
fachheit, aber nicht Kahlheit. Granitplatten als Fußböden, Pfeiler 
und Wände von Kalkfteinquadern, darüber graugetonter Put}, 
farbige Kachelverkleidung ergeben eine zwar ernfte, aber nicht 
eintönige Gefamtwirkung. Nach außen hin empfängt die Ge= 
famtanlage durch ihre Gebäudegruppen, durch die Wirkung des 
Materials, lichtbrauner Sandftein, grauer Put} und hohe, rote 
Ziegeldächer, wie durch fparfam angewendeten plaftifchen Schmuck 
und gelegentliche Vergoldung ein charakteriftifches Gepräge. 
Die malerifch aufgelöfte Gruppierung zu einem einheitlichen 
Organismus zufammenzuziehen und der Gefamterfcheinung eine 
größere Straffheit zu geben, ift verfucht. An der Hauptpartie 
mit dem Eingang und dem Turm ift es fogar gelungen. Der 
Architekt braucht diefen beherrfchenden Turmkoloß, wenn er 
wenigftens an diefer Stelle eine zufammengefaßte Silhouetten» 
Wirkung erzielen wollte. In einer von Konftruktion und Zweck 
fo beherrfchten Architekturperiode wie der gegenwärtigen, be 
darf es einer inneren Notwendigkeit, um den Turmbau zu recht 
fertigen. Alle Türme der alten Baukunft hatten einen Zweck, 
der ihr Dafein erklärt, mit Ausnahme der barocken Baukunft 
vielleicht, die nicht auf Konftruktion, fondern auf Dekoration 
gerichtet war, und folche Gebilde entweder der Symmetrie oder 
der Gleicbgewicbtsverteilung wegen fchuf. Dekoration als Zweck. 
Beim Landgerichtsgebäude, deffen Außenerfcheinung entfernt 
an alte deutfcbe Wehrbauten anklingt, bat der leere, bohle Turm 
raum als Entlüftungsfcbacbt zu dienen. Er entbehrt alfo nicht 
ganz der inneren funktionellen Beftimmung. □ 
Befonderes Intereffe gewinnt das Bauwerk durch den Um» 
ftand, daß es einem ftaatlicben Baubeamten gelungen ift, einen 
künftlerifcb gutgeratenen Willen mit zäher Beharrlichkeit durch 
zuführen. Gewiß haben die Vorgefet}ten des Landesbauinfpektors 
Kramer, Geb. Baurat WALDOW, Oberbaurat SCHMIDT und 
fpäter Baurat GLÄSER ein Verdienft an der Sache, vor allem das 
Verdienft des Gewäbrenlaffens einer jüngeren tüchtigen Kraft. 
Ein folcber Fall kommt in der Staatsbautätigkeit fehr feiten vor. 
Er bildet keineswegs die Regel, fondern die Ausnahme. Deshalb 
habe ich ihn mit fo vielem Nachdruck hervorgehoben. L. 
K. F. SCHINKEL 
(1781-1841) 
M an kann vielleicht wieder ohne Gefahr das Schaffen des 
großen Baukünftlers betrachten. Die frühere Zeit wollte 
die Antike an ihm erkennen, das war gefährlich. Die 
heutige Zeit wird das Moderne an ihm erkennen, das ift 
nüt}licb. Wer in feinen Werken bloß das Antike erblicken will, 
der fiebt nicht das Wefentliche, oder vielmehr, der fieht weder 
das eine noch das andere. □ 
Die NEUE WACHE (1816), das SCHAUSPIELHAUS (1818), 
das MUSEUM (1823), die BAUAKADEMIE, das SCHLÖSSCHEN 
CHARLOTTENHOF bei Potsdam (1829) find fcbön, nicht weil 
fie antik erfcheinen, fondern weil fie das menfchliche Geheimnis 
der fchönen Proportion in feiten gefehener Klarheit enthüllen. 
Der Kunftforfcher mag fich dabei an Vergangenes erinnern; 
der Kunftempfindende erinnert fich an nichts, als an die ge 
noffene Freude, die der Anblick barmonifcber Verhältniffe er 
weckt. Diefen Glückszuftand, der unter der Einwirkung rhyth- 
mifch beberrfchter Raumgrößen entfteht, meint Goethe, in der 
er fagt, man habe unter den Ausftrablungen folcber Schönheit 
das Gefühl, daß einem nichts übel anweben könne. □ 
Der Einfachheit Würde zu geben, und durch gefühlte Haupt- 
verbältniffe Schönheit zu verbreiten, auch wenn Schmuck im 
einzelnen vertagt ift, war das Ziel des Baukünftlers. □ 
Nicht nur die Antike, fondern die Baukunft aller Zeiten batte 
diefes Ziel, und natürlich bat es auch die moderne Baukunft. 
Zweck, Material, Konftruktion find die realen Grundlagen; fie 
find gegeben, aber aus diefem Gegebenen allein wird noch 
keine Baukunft. Die Freude am matbematifch beftimmten Kon- 
ftruktiven, an allem, was fich berechnen läßt, reicht nicht für 
die künftlerifche Wirkung bin, die ein Geiftiges darftetlt und in 
dem Geheimnis der edlen Proportionen beruht, vor allem was die 
Architektur betrifft. Proportionen müffen gefühlt werden; meßbar 
find nur die Dimenfionen. Die künftlerifche Wirkung, die auf 
das Schöne abzielt und dem Künftler über alles gilt, kann aber 
auch nicht durch bloße Berechnung gewonnen werden; fie ift 
im menfchlicben Empfinden begründet und nicht matbematifch, 
fondern organifcb beftimmt. Ein guter Ingenieur ift darum als 
folcber noch lange kein Baukünftler, es fei denn ein fchlechter. 
Das äußerliche Vorbandenfein griecbifcber Architekturmotive, 
die gelegentliche Umbildung des Schornfteins in ein antikes 
Säulenkapitäl find für das Wefen der Baukunft SCHINKEL 8 
nicht fo belangreich, als die für feine Zeit moderne Durchbildung 
neuer Bauorganismen, die er keinem Vorbild entnehmen und 
die er künftlerifcb nicht durch die Nachahmung der Antike, 
fondern durch das unwandelbare, von ihm voll erkannte Gefet) 
der fchönen Raumwirkung bewältigen konnte. Seine Werke 
find infolge ihrer klar ausgedrückten Beftimmung nicht antik, 
fondern zeitgemäß, d. b. modern; fie find es auch binfichtlich 
der Konftruktion. Wenn die Stilmarke unferer Zeit der Flach 
bogen ift, der aus der Eifen- oder Betoneifenkonftruktion her- 
vorgebt, fo ift Schinkel der Erfte gewefen, der, wenigftens vor- 
ahnend, wie feine Bauakademie beweift, das neue Problem künft- 
lerifcb anzufaffen unternahm. □ 
Auch darin ift der große Baufcböpfer modern, daß er den 
Blick aufs Ganze offen batte, womit nicht auf feine umfaffende 
Tätigkeit als Maler, Plaftiker, Kunftgewerbler, Tbeaterdekorateur, 
Denkmalkünftler angefpielt werden follte; er batte infofern 
den Blick aufs Ganze offen, als er nicht nur das einzelne Bau 
objekt fah, fondern mit ihm auch die Platjfrage ins Auge faßte. 
Berlin verdankt diefem erften Großftadtarcbitekten die Idee 
eines herrlichen Pla^gebildes, das von feinem Mufeum, dem 
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