seiner Persönlichkeit. Er erweist sich immer mehr als bahnbrechend
nicht nur als Künstler, als Maler, Bildhauer, Architekt, sondern
auch als universeller Geist, der auf ungezählten Gebieten den Er
kenntnissen späterer Zeiten um Jahrhunderte vorauseilte.
In besonderem Maße interessieren wir uns daher neben den
Studien und Entwürfen zu seinen künstlerischen Werken für seine
technischen Skizzen, für die Studien zu Instrumenten verschieden
ster Art, zu Landkarten, zu anatomischen Forschungen und der
gleichen mehr. Wir finden Skizzen etwa zur Anbetung der Könige
in den Uffizien, die niemals vollendet wurde, Pferdestudien für das
Denkmal des Francesco Sforza, an dem Leonardo in Mailand
arbeitete, dessen Guß scheiterte und dessen Tonmodel] wenig spä
ter vernichtet wurde. Darunter sind aber auch Zeichnungen zur
Heiligen Anna mit Maria und dem Jesusknaben des Louvre, zum
weltberühmten Abendmahl im Refektorium von Santa Maria della
Grazie in Mailand, für die Schlacht bei Anghiari im Florentiner
Palazzo Vecchio, in der Leonardo ein Ereignis der Florentiner Ge
schichte zu verherrlichen unternahm, die aber ebenfalls nie vollen
det wurde und deren Karton untergegangen ist. Wir sehen Leo
nardo auch als Erfinder vielseitiger Kriegsmaschinen im Dienste
des Ludovico Sforza, als Architekt, als Planer in den Skizzen des
Projektes zur Austrocknung der Pontinischen Sümpfe, ein Vor
haben, das — so merkwürdig es klingt — erst beinahe fünfhundert
Jahre später verwirklicht wurde. Erwähnt seien noch die apokalyp
tisch anmutenden Visionen seiner letzten Jahre, Darstellungen von
Überschwemmungen, von Erdbeben und vulkanischen Eruptionen.
*
Die Kunst ist, wie die UNESCO mit dieser Ausstellung dokumen
tieren will, einer der größten Erzieher des Menschen. Also ver
mögen auch diese drei Bilderserien (die wir wegen Raummangels
nur teilweise zeigen können) einen tiefen Einblick in das Weltbild,
nicht nur unserer Zeit, sondern auch vergangener Generationen zu
geben.
Wir sehen Leonardo Schritt für Schritt um die Erkenntnis einer
neuen Welt ringen, einer sowohl geistig-intellektuellen, rationell
organisierten und einer künstlerisch-religiösen, die erst gemeinsam
den vollkommenen Menschen ergeben. Wir sehen die Buntheit und
die Vielseitigkeit einer Zeit, die wir die „Neuzeit“ nennen, die
immer größere Bändigung der Materie, aber auch das immer stär
kere Beherrschtsein von dieser Materie. Dennoch finden wir auch
hier neben religiöser Ekstase schlichte, reine Menschlichkeit.
Und wir sehen schließlich den Bruch in unserer Zeit, den Über
gang von einem anscheinend bis ins letzte registrierten Kosmos in
eine Sphäre des mehr gefühlten als erkannten, in der wir nach
weiteren und subtileren Werten suchen. Zweifellos befinden wir
uns da in Neuland. Aber wir glauben, daß vielleicht in mancher
noch unbeholfenen kindlichen Sprache mehr Tiefe und mehr Größe
liegt als in der gewandtesten Rede.
Ferdinand Eckhardt.
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