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um an einer anderen Stelle wieder die Wirkerei über die Kette aufzu
nehmen.
Auf dieser höchsten Stufe der Ausbildung tritt uns die Wirkerei an
den ägyptischen Funden entgegen. Ihre Leistungsfähigkeit beweisen die
mannigfaltigen figuralen Darstellungen, die wir bei Besprechung des Inhalts
der Gewandverzierungen kennen lernen werden. Was überhaupt zu jener
Zeit als in der Kunst darstellungswürdig galt — und die bezüglichen Grenzen
scheinen keineswegs enge gezogen gewesen zu sein — das wusste die
Wirknadel textil auszuführen. Ihr Material war (mit Ausnahme der Kette)
fast ausschliesslich die Wolle; nur für weiss erscheint durchwegs Naturleinen
verwendet. Darin werden wir nun auch ungezwungen die Erklärung dafür
suchen dürfen, dass die Wollstoffe der Mehrzahl nach die Ripsbindung auf
weisen: verstand man doch aufs Beste die billigere Leinenkette vollständig
mit dem Wollschuss zu decken und ein gleichmässiges Wollgewebe herzu
stellen, das durch sein geripptes Aussehen allein schon den Vorrang vor
dem Leinengewebe behauptete, dessen zu Tage liegende Kreuzungen das
Auge eher zerstreuen, als nach einer bestimmten Richtung fesseln.
Die viel-, ja allseitige Verwendung der Wirkerei lässt allein schon den
Schluss zu, dass die eigentliche Stickerei im classischen Alterthum nur
eine geringe Rolle gespielt haben muss. Dies bestätigen auch unsere Funde.
Dass einige Sticharten nicht blos zum rein praktischen Zwecke der Näherei,
sondern auch in der bewussten Absicht zu schmücken gehandhabt wurden,
beweisen bunte Nähte und festonnirte Säume, die sich vom einfärbigen
Leinen- und Wollgrunde ornamental abheben. Auch zur Einfügung von In
schriften wurde die Sticknadel benützt (Taf. IX), und zwar in ganz kurzen
Plattstichen, wie sie unmittelbar aus der Näherei übernommen sein konnten.
Eine wirkliche Stickerei liegt uns in Nr. 582 vor. Es ist dies ein blaues,
durch eingewebte gelbe Streifen carrirtes Wolltuch mit roth eingewebten
Bordüren. Die Quadrate dieser letzteren sind nun mit verschiedenartigen
Kreuzen, thurmbewehrten Thorfagaden, Menschenfiguren, die mit jeder Hand
ein Höckerthier (Kameel) an der Leine halten, natürlich in starker Stilisirung,
ausgefüllt. Die ganz kurzen Stiche sind auf den schütteren Wollgrund in
der Technik des Stielstiches nebeneinandergelegt, und zwar mit grosser
Regelmässigkeit, so dass wir darin bereits das Princip der Stickerei nach
gezählten Fäden erkennen dürfen. Die zu dieser Stickerei verwendeten
Leinen- und bunten Wollfäden sind von beträchtlicher Dicke, so dass sie
ein gewisses Relief auf dem wollenen Untergründe erzeugen. Eine andere