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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

□ SONDER-□ 
DOPPELNUMMER: 
UNGARISCHE VOLKSKUNST. 
SEBALD SOEKERS VOLLENDUNG.* 
VON OUCKAMA KNOOP. 
Sonderbar! Die Völker nehmen im Laufe der Zeit an 
Unreife zu. □ 
Die Minoritäten zu schützen ist wohl die wesentlichste 
Aufgabe des Staates, denn die Majoritäten schützen 
sich selber. □ 
Was der nächsten Generation am meisten nottut, ist 
INNERER Stolz. Der muss vor allem entwickelt werden. 
Der russische Bauer ist mir rührend wie ein kleines 
Mädchen, das vielleicht die Stammutter eines grossen 
Geschlechtes sein wird. □ 
Es gibt eine bürgerliche Heuchelei und eine aristo 
kratische Lebenslüge; es gibt einen aristokratischen 
Zynismus und eine plebejische Pedanterie der Scham 
losigkeit. □ 
Eine unfeine Gesinnung verrät sich vor allem im 
Beschönigen. □ 
Fremdenhass ist eigentlich das Zeichen einer starken, 
wenn auch nicht notwendig hohen Kultur. Die haben 
keine Art, keine Tradition und keine Individualität zu 
bewahren, die ohne alle Reserve ihren Kreis jedem 
fremden Zufluss öffnen. Dem Fremden selbst, wenn 
er ein Mensch von stolzem Wesen ist, bereitet das 
wahllose Entgegenkommen eine Enttäuschung, als wenn 
er in eine minder distinguierte Gesellschaft geraten wäre. 
Man merkt Verwaltung und Gesetzgebung in den 
* Inselverlag» Leipzig. 
gebildeten Ländern Europas an, dass sie von Juristen 
geleitet werden. Sie hat etwas Verknöchert-Starres, 
als bezöge sie sich auf unwandelbar fest umgrenzte 
Begriffe und nicht auf das Flüssigste, Flüchtigste und 
Widerspruchsvollste: die Menschennatur. Die mathe 
matisch ausnahmslose Behandlung aller Geborenen, 
ihre grausam gleichmässige Vereinigung in Schule und 
Militär führt zum Absurden und leitet sich ab von 
einer schmählichen Rücksicht auf die gemeinste mensch 
liche Leidenschaft: den Neid. — Das sehen sie aber 
nicht ein, dass Elastizität keine Willkür, sondern eine 
reichere Gesetzmässigkeit ist. □ 
Mag das Leben in Amt und Geschäft ein Kampf sein, 
so soll die Geselligkeit uns einige Feierstunden des 
Friedens bringen. Aber leider tobt im geselligen Ver 
kehr der Kampf ungeschwächt weiter: der Kampf 
der Eitelkeiten. Jeder will sich vor den anderen zur 
Geltung bringen, daher er denn die anderen miss 
trauisch betrachten und seine Überlegenheit jeden 
Augenblick rücksichtslos anzuwenden bereit sein muss. 
Hätten unsere gebildeten Zeitgenossen mehr Feinheit, 
so würden sie im geselligen Verkehr nicht an sich, 
sondern an ihre Mitmenschen denken und ihnen das 
bieten, was die herrlichste Blüte aller Kultur ist: 
Anmut des Wesens. Eigentlich besteht diese Anmut 
überhaupt bloss darin, dass man nicht an sich denkt. 
Das genügt, um jene weiche, selige Harmonie hervor 
zurufen, neben der die schönsten irdischen Genüsse 
schal und gemein erscheinen. □ 
Als der Mensch das Klettern verlernte und sich auf 
seine Füsse stellte, da klagten die Affen über Dekadenz. 
Eine feine Herzlichkeit liegt darin, im Menschen das 
Individuum zu ehren. Die Scheu vor dem Vornehmen 
ist sehr wenig vornehm. □ 
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