Wohnhaus, Hohe Warte, Entwurf Prof. Joseph Hoffmann.
DAS WOHNHAUS.
D ie neuen Gedanken in bezug auf das Wohnhaus sind
im folgenden zu einer flüchtigen Übersicht zusammen^
gefaßt. Wenn man ein Wohnhaus baut, soll es eine
Heimstätte des Glückes sein. Das müßte man von seiner
Stirne lesen können, wie man es von den Stirnen der älteren
ländlichen Wohnbauten lesen kann, in schlichten unver^
künstelten Zügen, die alle häuslichen Glücksmöglichkeiten
offenbaren. Vermenschlicht erscheint der Ausdruck solcher
Häuser, so beseelt sind sie von dem Leben der Familie und deren
Bedürfnissen, und ausgefüllt bis in alle Winkel. Kein toter
Raum ist darin, nichts überflüssiges und daher Zweckloses,
aber alles Vorhandene ist angemessen und behaglich. Ihre
Schönheit ist Sachlichkeit, und Sachlichkeit eines Wohnhauses
ist Wohnlichkeit.
In bezug auf Wohnlichkeit ist die lebende Generation nicht
verwöhnt. Im Gegensätze zu dem älteren heimatlichen Bau-’
gedanken verlegt sie den künstlerischen Schwerpunkt nicht
auf die Sachlichkeit der Konstruktion und Grundrißlösung,
sondern vielmehr auf die „schöne“ Fassade, wo eine baby
lonische Wirrnis von Stilbrocken, ein Ragout von zweck
losen Erkerchen, Türmchen, Giebelchen über den Mangel
einer zwecklich formalen Lösung hinwegtäuschen soll. Der
Schein steht hier höher als das Sein. Protzig prunkend
134
Speisezimmer.
stehen diese aufdringlich gebauten Villen neben den einfach
schönen älteren Wohnbauten des Landes, trotz des äußer
lichen Aufwandes verunzieren sie die landschaftliche Phy
siognomie, mit der sie nicht grund- und materialverwandt
sind, hinter der starren Maske ihrer gipsüberladenen Fassade
suchen wir vergebens die freundlichen Hausgeister der
Behaglichkeit und Wohnlichkeit, durch die die schlichteren
Nachbarn ausgezeichnet sind. Es ist unerfindlich, warum
sich die Villenbesitzer gerade nur die schlechten Großstadt
häuser, die in den häßlichen Vorstädten zu finden sind,
zum Vorbilde genommen haben, warum sie nicht lieber die
feinen Beispiele ihrer mehr oder weniger ländlichen Um
gebung klug beachteten und mit Vorteil benützten. Soviel
erhellt, daß die lebende Generation, die solche Wahrzeichen
ihrer künstlerischen und persönlichen Unkultur schuf, nicht
mehr weiß, was wahre Wohnlichkeit ist, wenngleich die
Gegenwart über ungleich mehr Komfort im einzelnen ver
fügt als die Vergangenheit. Aber ein lebhaftes Wünschen
ist entstanden, ein Umschwung zur strengeren Sachlichkeit,
die mit Bad und Waterklosett einsetzte. Man hat von dem
individuellen Haus gehört, das sich persönlich gebärdet, und
hat in dem nicht immer schönen Wahn gelebt, jedes Haus
müsse ein anderes Gesicht zeigen, ein „individuelles“. Aber
das brauchen wir in Wahrheit nicht. Was wir brauchen,
ist eine gute Wohnhaustype für jedermanns Gebrauch, der