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Volltext: Das gewerbliche Unterrichtswesen (Gruppe XXVI, Section 4), officieller Ausstellungs-Bericht

Das gewerbliche Unterrichtswefen. 
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Seither ahmten auch andere continentaie Länder diefe Schöpfungen mehr oder 
minder glücklich nach. In ganz Europa gerieth die Bewegung im Gebiete kunft- 
gewerblicher Läuterung und Schulung in Flufs. 
Seit der letzten Parifer Ausftellung hat fie bedeutende Fortfehritte auf 
zuweifen, und heute befchränkt fich die Wirkfamkeit derfelben keineswegs mehr 
auf einzelne Centren, auf grofse kunflgewerbliche Lehranftalten; vielmehr rufen 
die hervorragendften Culturflaaten nach und nach an allen wichtigen Punkten 
Zeichen- und Modellirfchulen in Verbindung mit der Induftrie ins Leben und 
fuchen durch fachkundige, theils aprioriftifch, theils kunftgefchichtlich vorgehende 
Unterweifung ein richtiges, zweckbewufstes Formgefühl zu wecken, fowie durch 
die Aufteilung gutbewährter Abbilder- und Mufterfammlungen den Gefchmack 
auch des gemeinen Arbeiters zu lenken und zu verfeinern. So zeigte denn die 
Wiener Ausftellung auf mehr Gebieten und in ftärkerem Mafse als ihre Vor 
gängerinen eine Umkehr von der früheren naturaliftifchen und finnlofen Com- 
pofitions- und Ornamentationsweife zu gröfserer Vernunftmäfsigkeit, Strenge und 
wStilgerechtigkeit. 
Wenn auch unfere neuefte Culturpolitik, indem fie im wiffenfchaftlichen 
Geifte ihrer Zeit mittelft der fyftematifch und hiftorifch unterweifenden Schule die 
Gefchmacksreform zu bewirken trachtet, einen in der Gefchichte der Kunft- 
gewerbe bisher nicht dagewefenen Weg befchreitet und wenn auch in Folge deffen 
ftatt der bezaubernden Naivetät alter Meifterleiftungen des Kunft-Handwerkes 
eine gewiffe Refledlirtheit im kunftinduftriellen Schaffen der Gegenwart hervor 
tritt, fo bezeichnet doch der jetzige Zuftand einen riefigen Fortfchrjtt gegen eine 
jüngft vergangene Periode und geftattet die zuverfichtliche Erwartung, dafs der 
einmal vom Wufte der Verwilderung gefäuberte und forgfam beftellte Boden in 
einer folgenden Epoche volle und reine Blüthen hervorbringen werde. 
So hat denn gegenwärtig der gewerbliche Unterricht nach zwei Richtungen 
die Aufgabe, Ergebniffe moderner Wiffenfchaft für die beruflichen Zwecke des 
Gewerbeftandes zu populariflren: was die exaeften Wiffenfchaften feit hundert 
Jahren an im Leben anwendbaren Errungenfchaften zu Tage gefördert haben, foll 
den Gewerbetreibenden in Schulen erfchloffen werden, welche die Refultate diefer 
mathematifch-naturwiffenfchaftlichen Forfchungen in praktifcher, knapper Lehre 
darbieten; ebenfo wie auch die reichen Fundgruben culturhiftorifchen und ethno- 
graphifchen Wiffens , welche in unferer Zeit eine mannigfaltige Ausbeute künft- 
lerifcher Geftaltungen geliefert und die Einficht in Entwicklung, Zweck, Zufammen- 
hang und Sinn diefer Formen geklärt haben, für die Hebung der Induftrie nutzbar 
gemacht, und zur äfthetifchen Erziehung des Volkes verwerthet werden müffen. 
Auf folchem Wege allein kann in den occidentalen Ländern einerfeits die grofs- 
artig erweiterte Kenntnifs der Materie und ihrer Gefetze der gefammten Bevöl 
kerung zum Segen werden und anderfeits die hochentwickelte Gefchichtswiffen- 
fchaft als unerfchöpflicher Jungbrunnen die Phantafie des gewerbetreibenden 
Volkes veredeln und bereichern mit einer vielgeftaltigen Fülle wiedererweckter, 
dem fchönen Schaffen anderer Zeiten oder Nationen entnommener Formen. 
Das gewerbliche Unterrichtswefen einzelner Staaten. 
Nachdem der Gegenftand diefes Berichtes in feiner Bedeutung für das 
Culturleben der Gegenwart charakterifirt und dadurch in die richtige Sehlinie 
gerückt ift, wird im Folgenden wohl mit erhöhter Sicherheit ein Urtheil über die 
Stellung gefällt werden können, welche das gewerbliche Unterrichtswefen auf der 
Wiener Weltausftellung eingenommen hat. 
Wenn auch England, Frankreich, Belgien, Holland auf diefem Felde 
überhaupt nur fpärlich und durchaus nichts ausgeftellt hatten, was nicht fchon 
von früheren Expofitionen her bekannt gewefen wäre, fo bot dafür die Ausftellung
	        
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