MODE UND HANDARBEIT
ZUR KULTUR DER KLEIDUNG
ber diefcs Thema finden ficb bemerkenswerte Sätje von
DR- GEORG BIERMHNN (Leipzig) in den »Zeit- und
Streitfragen«: Wir haben keine Kultur der Kleidung.
Wie troftlos arm deud^t uns in der Beziehung doch die Gegen
wart, durchblättert man nur einen Augenblick die Modekupfer
des 18. Jahrhunderts. Da werden fie lebendig, die Grandfeigneurs
von Anno dazumal. Die Herren in den weißen Puderperücken
und den eleganten Seidenweften, den lackierten Scbnabetfchuben,
die Träger einer feinfinnigen Kultur mit Spi^enkraufen und
feidenen Pantalons, die Engländer, denen Smith und Bartolozzi
ein Denkmal gefetjt, die Herren aus der Biedermeierzeit, für die
Garvani feine entzückenden Modekupfer ftach. Die Miniatur und
felbft der Schattenriß waren ftark genug, ein ganzes Zeitalter
künftlerifch zu verklären. Man gehe noch weiter zurück (die
ganze Kultur der italienifchen Renaiffance ließe fich zum Ver
gleich herbeizitieren) bis in die Tage von Franz Hals, von dem
in Haarlem jene böcbften Meifterwerke der Porträtkunft zu fehen
find. Wie lebt da das alte Holland auf, dies Holland, das fo
mutig zu fechten und wacker zu zechen verftand. Wie über
mütig fie uns anfcbauen im wallenden Federhut, die bunten
Schärpen um die Bruft, diefe Herren des Degens und des Pokals!
Hals aber foll hier als ftärkftes Gefchü^ ins Gefecht geführt
werden. Denn er ift bis heute der Porträtkünftler des männ
lichen Bildniffes par excellence geblieben. Ob er die Männer
feiner Zeit wohl gemalt haben würde, wenn fie wie beute fchon
vom Schnitt Parifer Modefchneider beglückt worden wären, wenn
es damals keine andere Tracht als den unleidlichen, uniformen
Gefetlfcbaftsanzug unterer Zeit gegeben hätte? (Die Mehrzahl
aller männlichen Porträte von beute zeigt ja fonderbarerweife
den Dargeftellten gerade in dem Anzug, in dem man ihn eigent
lich faft nie fiebt.) Nie und nimmer hätte er’s getan; denn Hals
war ein Meifterer der Farbe. Ihn reizten in erfter Linie die
wundervollen farbigen Zufammenklänge, das vom bellen Tages
licht getroffene Schwarz des baufchigen Wamfes, die faltenreichen
Pluderbofen, der federumwallte Hut, das gelbe, von breiter
Schärpe umzogene Lederkoller. Wie fcbwelgte er in diefen far
bigen wundervollen Akkorden. Nur daraufhin fehe man feine
Gürtel aus weißem Band mit Stickerei in verfebiedenen violetten Seiden mit Gold*
febnur und grüner Seidenfcbnur □ Entworfen und ausgefübrt von JUTTH SICKH
herrlichen großen Scbü^enftücke im Haarlemer Stadtbuis an.
Gegen die will doch fo manches kleine Porträt, auf dem fich wohl
der geniale Pinfelfübrer verrät, malerifcb nichts bedeuten. Man
denke an Rembrandt, wie er die Wirklichkeit Lügen ftrafte, der
Pbantafie ein eigenes Reich erbaute, in dem er nach Luft und
Laune feine Modelle mit dem ganzen farbigen Zauber des Orients
aufputjen durfte, auf dem er alle Gluten feines magifchen Lichtes
fammette, ein echter Künftler der Farbe! Man komme nicht nach
Scbulmeifterweife mit dem monotonen Worte vom »tempora
mutantur«. Wohl bat unfere Zeit, die ein Neuland auf vulka-
nifchem Boden entdeckte, auf dem ein heißer Kampf ums Dafein
entbrannt ift, der träumenden Künftlerfehnfucht vergangener
Tage Gewalt angetan. Unfere Tracht ift wie unfer Leben ge
worden: herbe, ftreng und freudeleer. Aber haben nicht auch
wir, die wir ftolz find, neben den Pflichten des realen Alltags
gebotes auch über eine Höbenkultur des Geiftes zu verfügen,
Stunden, wo uns tiefe Kluften vom rauben Tage der Arbeit und
des Kampfes febeiden, wo wir uns auf uns felbft befinnen und
allen Mufen Griechenlands Willkomm am gaftlichen Tifche des
Haufes befcheren? r-.
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