MAK
Zentralblatt für Sammler, Oebhaber und Kunstfreunde 
Herausgeber: Norbert Ehrlich und J. Hans Prosl. 
2. Jahrgang. Wien, 15. September 1910. Hummer 18. 
Kupferstich und Radierung. 
Von Georg Bufj (Kissingen).* 
/^■■A/Ile Kunst ist abhängig non der Teilnahme des 
Publikums. Ohne den Beifall und die Llnter- 
Trt Stützung einer kunstbegeisterten Gemeinde kann 
tHjw I der Künstler, mag das heilige feuer auch noch 
so heil3 in seiner Brust brennen, auf die Dauer 
nicht schaffen. Gewisse Zweige der JTlalerei 
und Plastik geraten, sobald ihnen das Publikum 
seine Gunst entzieht, geradezu in den Zustand 
des Verdarrens. An überzeugenden Beispielen 
ist die Kunstgeschichte reich. Hur hingewiesen 
sei auf den Verfall der IHiniaturmalerei und 
der ntedaille. 
ln Ktedaillen und minioturen lief] sich das Publikum 
der alten Zeit mit Vorliebe porträtieren. Gs entzog ihnen 
sein förderndes Interesse, je mehr der Porträtstich sich mit 
siegreicher macht entwickelte. Und heute ist der Porträt 
stich — eine längst entthronte Größe, obwohl er die aus 
gezeichneten Teistungen eines Gdelinck und Tlanteuil auf 
zuweisen hat. Der Porträtstich hatte seine Rolle bereits 
ausgespielt in der Zapf- und Gmpirezeit, als das simple 
Silhouettenprofil modern und sogar am familientisch mit 
großem Geschick geschnitten wurde. Dann folgte das mit 
großer Begeisterung begrüßte lithographierte Porträt und 
schließlich das photographierte. 
Die Photographie mit den auf ihr begründeten photo 
mechanischen Veroielfältigungsarfen, die, je nach der Be 
sonderheit des Verfahrens, den Hoch- oder den Tiefdruck 
zulassen, hat überhaupt in der graphischen Kunst und 
insbesondere in der chalkographischen eine tiefgreifende 
Reoolution hernorgerufen. Zu leugnen, daß unter diesem 
mächtigen Ansturm der Kupferstich in einen Zustand des 
Absterbens geraten ist, geht nicht mehr an. In den großen 
akademischen Kunstausstellungen ist er kaum noch oer- 
treten und die sich ihm widmenden Künstler sind zu 
zählen. Die JTlaler nerhalten sich zu ihm geradezu eisig; 
— sie erklären, daß ihnen ein Gemälde durch eine Photo 
graphie erheblich besser als durch den Stich, auch den be 
rühmtesten, ueranschaulicht werde, oermöge dieser doch 
* Wir reproduzieren die Ausführungen des geschälten Autors, 
ohne uns in ollen Punkten mit ihnen zu identifizieren. Die An 
sichten über die Wertschätzung des Kupferstiches sind eben geteilte 
und was die ITledaille betrifft, so gibt sich in neuester Zeit für 
diese Kunstgattung erfreulicherweise wieder grofjes Interesse kund. 
Die ntedaille geht allem Anscheine nach einer neuen Renaissance 
entgegen. 
nicht in dem Klaße wie die farbenempfindliche Platte die 
unendliche fülle der Tonnuancen und die feinheiten des 
Tichtes, kurz den höchsten Zauber des Kolorits wieder 
zugeben. Hängt neben dem ausgezeichneten ITlüllerschen, 
Desnoyersschen, Steinlaschen, Kellerschen oder ITlandelschen 
Stich der Sixtinischen ITladonna eine gute Photographie 
der oielgefeierten Schöpfung Raffaels, so ist zehn gegen 
eins zu wetten, daß der ITlaler sein Interesse der photo 
graphischen Reproduktion zuwendet. Roch mehr wird das 
der fall sein, wenn es sich um Schöpfungen Tizians, 
Rubens’, Van Dycks, Rembrandfs und Velasquez, der 
größten Kleister des Kolorits, handelt, ln bezug auf Treue 
steht eben der Kupferstich gegen die Photographie zurück. 
Gs ist ein ITlangel, der in unseren Tagen um so mehr 
empfunden wird, als die moderne JTlalerei gerade in der 
Schilderung der gegenseitigen Beziehungen oon Eicht, Tuft 
und färbe ihr höchstes Problem erblickt. 
Tine oollkommen getreue Rachbildung des Original 
gemäldes ist oom Kupferstich auch gar nicht zu oerlangen, 
faßt doch jeder Kupferstecher das Original anders auf und 
ist doch der Grabstichel kein Pinsel. Die uerschiedenen 
Stiche der Sixtinischen ITladonna nebeneinander gehängt, 
zeigen sofort erhebliche Differenzen,, die eben zurückzuführen 
sind auf die Verschiedenheit der künstlerischen Individuali 
tät der Stecher. Ihre subjektioe Beanlagung macht sich 
schon beim Rachzeichnen des Gemäldes und noch mehr 
beim Stechen selbst bemerkbar, ln Wahrheit handelt es 
sich um eine künstlerische Überseßung des Gemäldes. Sie 
hat zu ihrem flusdrucksmittel die tinie gewählt, daher sie 
auch als „Onienstich“ bezeichnet wird, und sie ist abhängig 
oon der besonderen Art der Technik und oon der fähig- 
keit, mit der sie der Kupferstecher zu oermerten weiß. 
Die Beschränkung auf die Tinie und das Gingraben 
der Tinien in die Kupferplatfe macht die Technik ungemein 
schwierig und zeitraubend. Thomas Holloway, geboren 
1748 in Tondon und gestorben 1827 in Coltihall bei Rorwich, 
hat zu den sieben Stichen nach Raffaels Tapeten-Kartons 
in Hamptoncourt zwei Jahrzehnte gebraucht, obwohl er 
mit zwei Gehilfen arbeitete, und der Berliner Gduard 
ITlandel zum Stich der Sixtinischen ITtadanna fast ein Jahr 
zehnt, ohne ihn oollendet zu hinterlassen. Vollendet 
wurde er nach dem im Jahre 1883 erfolgten Tode des 
Kleisters in ausgezeichneter Weise oon seinem hochbegabten 
Schüler Professor Hans llleyer, der auch mit dem Stiche 
nach dem oan Dyckschen Bildnis der „Dame mit dem Hand-
	        
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