Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: Norbert Ehrlich
28. Jahrgang 1. September 1937 Nr. 12
Sollen Maler Bilder sehen?
Von Maler Georg Maycr-Marton (Wien).
Unter diesem Titel wirft Paul Fechter im
,,Berliner Tageblatt“ die sicherlich interessante und
leider aktuelle Frage auf, welchen Nutzen die Be
trachtung von Bildern, vor allem in den Museen, dem
Maler der Gegenwart bringen kann und welche Ge
fahren er von ihr zu fürchten hat.
Die Möglichkeit, Gefahren zu wittern, die
dem Maler von der Malerei her drohen, mag
wohl als Problem erscheinen, nicht aber diese Ge
fahren selbst. Bestünden sie wirklich, wären sie wohl
Probleme, Probleme der Zeit, nicht aber Probleme der
Malerei und der Kunst. Die Quelle solcher Frage
stellung mag die noch immer nicht beendigte Aus
einandersetzung zwischen einer naturalistischen und
einer künstlerischen Grundtendenz aller Kunstübung
sein, — dieser Gegensatz soll mit Absicht antithetisch
fixiert werden, um das Unkünstlerische einer rationa
listisch-naturalistischen Auffassung von der Kunst ab
zugrenzen, — und wollte man dem Ursprung dieser
Quelle nachgehen, würden sich Fragen aufdrängen,
die zwar auch die Malerei betreffen, aber Fragen des
Geistes überhaupt sind. Man müßte sich mit dem Be
griff der Tradition beschäftigen, die Antithese In
dividualismus und Stil erörtern und den Versuch wa
gen, in der Frage „Form oder Inhalt?“ eine wenn
auch nur persönliche Entscheidung zu treffen.
Alle diese Probleme, zeitlos aktuell und fast
untrennbar, -- würden in der Beantwortung auf Ge
biete führen, die weit außerhalb der Grenzen lägen,
die durch den scheinbar einfachen Titel gezogen wur
den. Es müßte untersucht werden, warum die Kunst
im geistigen Leben der Gegenwart andere Werte
erhielt als sie sie jemals hatte; der Einfluß außerkünst
lerische!- und ungeistiger Forderungen auf sie müßte
durchforscht werden — die Rolle der Technik, des
technischen Denkens, der rationalistischen Verödung,
des sozialen und politischen Geschehens, der ver
änderten Voraussetzungen für die Motive und die
Befriedigung des von der Kunst schon gänzlich ab
gespalteten Schaubedürfnisses, die Veränderungen, die
Ebbe und Flut in den Kraftquellen allen geistigen
Tuns hervorgerufen haben, die Rückwirkungen, die
im Verlaufe jeweiliger sozialer und politischer
Schichtverschiebungen Kunst auf jeweils sich än
dernde soziale Schichten einwirken und so ihre än
dernden Kräfte sie erfahren ließen; es müßte die
Frage nach dem Auf und Ab in der Forderung nach
Entwicklung der Persönlichkeits- und der Gemein
schaftswerte gestellt und beantwortet werden alles
Dinge, die den Maler unmittelbar an gehen, die er
aber nicht zu untersuchen hat. Sie mögen ihn in
teressieren, er nröge sich mit ihnen als geistiges
Geschöpf mit mehr oder weniger Leidenschaft und
Erfolg beschäftigen, sie mögen ihn über die un
veränderlichen Grundlagen seiner Arbeit aufklären,
ja, ihn auf eine höhere Ebene des Wollens heben, -
sein Können werden sie nicht steigern und steht
er vor seiner Leinwand, so wird er sich vielleicht
seines Dileltiercns auf theoretischen Gebieten erin
nern, er wird sich vielleicht als geistig und sittlich
höhergearteten Menschen empfinden dürfen, mög
licherweise sogar in der Themenwahl seinen so ent
stehenden Verpflichtungen gemäß beeinflußt sein, nie
mals aber wird ihn das Wissen um die Ordnung
in der er steht, und die' Einsicht, in die Berechtigung
oder Unberechtigung der an ihn von außen ge^
stellten Forderungen befähigen, besser zu malen als
er malen kann. Hingegen wird er umso besser malen
können, je gründlicher er die Gesetze seines geistig-
manuellen Handwerks kennt, je reicher seine Kennt
nis seiner selbst und aller Möglichkeiten ist,
die die Malerei ihm bietet und je genauer er un
terscheiden kann, welche Mittel ihm am ehesten
dazu verhelfen können, den schwierigen Weg von
der Konzeption bis zur Verwirklichung der Vision
in der Materie mit dem kleinstmöglichen Verlust
zurückzulegen.
Es mag sich vielleicht einmal noch das Wun
der des genialen Dilettanten ereignen, der ganz aus
sich heraus, ohne Vorbildung, ohne Zusammenhang
mit der lebendigen Tradition, ohne Kenntnis alles
dessen, was vor ihm geleistet wurde, das vollgül
tige Kunstwerk schafft: vollgültig, weil es der rest
lose Ausdruck einer großen Persönlichkeit, einer
vollgültigen, künstlerisch gestaltbaren Zeit ist, mit
den denkbar vollendetsten Mitteln der Malerei zu
einem mittels sinnlicher Wirkung lebendigem, sitt
lich und geistig hochwertigem Dokument mensch
licher Schöpfersehnsucht gestaltet. Dieses Wunder
hat sich bisher nicht ereignet und die Bedingungen