Rümmer IQ
1 nte r n a t i o n a 1 c a m m I e r -Z e i t u n g.
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Eine Kostümsammlung,
einen interessanten Überblick über die Entwicklung des
Trachteiunescns Dom frühesten ITlitfelalter bis zur Gegenroart ge-
ruährt eine Kostümsammlung, die eben aus dem Besitze des englischen
ITlalers lucas in die Heinde des neuen londoner ITluseums
übergegangen ist, das im Kensington-Palasf sein Heim aufge
schlagen hat.
Lucas mar uan Jugend auf ein eifriger Sammler und kann
als ein heruorragender Kenner der Trachtenkunde gelten. Er selbst
hat in einem Gespräch mit einem Londoner Journalisten in kurzen
Worten die mertoollen Lehren ermähnt, die diese Sammlung alter
Kostüme der. Gegenmart erteilt, regt sich doch beim Anblick dieser
farbenreichen schönen alten Geroänder so etroas roie eine Sehn
sucht nach jenen uerklungenen Zeiten, da der färbe, der Kunst
und dem Geschmacke des Jndioiduums ein ungleich größerer Spiel
raum in der Behandlung der eigenen Kleidung offen stand, Es
gewinnt fast den Anschein, als ob die früheren Jahrhunderte der
Tracht des ITtenschen eine ungleich größere Bedeutung beilegten
als die alles uniformierende Gegenroart, in der der kleine Kommis
sich kleiden kann roie ein Herzog und in der alle rein äußerlichen
malerischen Reize der Slandesunterschiede sich immer mehr oer-
roischen. „Die lange Hose,“ so äußerte sich der englische ITlaler,
„roar das Ende der Kunst in der männerkleidung, roar der Anfang
der modernen Tracht, die heute zur Uniform geworden ist. IJoch
zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Beinkleider nicht gar
so häßlich roie heute, schmiegten sich enger an die Körperformen.
Aber heute oerbergen wir lllänner oom Knie ab alle Erinnerungen
an die natürlichen formen, roas oom künstlerischen Standpunkt
nicht genug zu bedauern ist.“ Diese eintönige Gleichförmigkeit
hat die Phantasie gelähmt, den Ehrgeiz eingeschläfert und die
feinen psychologischen faden, die den ITtenschen mit seiner Kleidung
Derbinden, gelockert und uerroirrt. Denn der englische Künstler
glaubt fest an den Einfluß der Kleidung auf das Wesen und Auf
treten des manschen, die prächtigen schönen Kostüme des 17. und
18. Jahrhunderts haben ihren engen Zusammenhang mit der Kunst,
die Bekleidung zu tragen: mit jener Grazie und Anmut des Auf
tretens und des Benehmens, die jenen Kindern uergangener Jahr
hunderte eigen roar. „Kann jemand in moderner Herrenkleidung
überhaupt würdig und achtunggebietend Aussehen?“ fragt der
Künstler. Die lleigung zur Verhüllung der Körperformen, die sich
in der modernen ITtännertrachf ausprägt, läßt die Sorge für die
Entwicklung des Körpers zurücktreten, damit entschwindet auch
der Drang oder die llotroendigkeit, seine Glieder stets in der Ge
walt zu haben und nicht nur zweckmäßig, sondern auch anmutig
zu handhaben. Die Kleidung, die ehedem ein Symbol und ein
Spiegel der Persönlichkeit roar, ist heute im allgemeinen nur noch
eine llotroendigkeit, und damit ist auch die Liebe geschwunden,
mit der unsere Voroäter alle Einzelheiten ihrer äußeren Erscheinung
beurteilten und behandelten.“
Die Sammlung Lucas zeigt z, B. Schuhe aus dem 16. Jahr
hundert, die mit echten Perlen und Juwelen geschmückt sind und
neben denen unsere moderne fußbekleidung in ihrer trockenen
llüßluhkeit armselig anmufet. Da sehen mir goldgeroirkfe Ge
roänder mit kunstuoll eingeflochfencn Ornamenten aus edlen Steinen,
Uleisterroerke der Webekunst, die heute kaum mehr geschaffen
werden, weil das Bedürfnis für sie entschwand. Interessant aber
ist oor allem die Lehre, roie die schönen frauen des lllittelalters
und der Renaissance die schwierige Toilettenfrage lösten. In der
Sammlung sieht man gaid- und silbergeroirkfe Roben, die ein
ganzes Vermögen gekostet haben und die den Gedanken nahe
legen, daß die Vorläuferinnen unserer lllodedamen noch mehr zu
Extraoaganzen neigten als die Töchter der Gegenroart. Aber in
Wirklichkeit lagen die Verhältnisse anders; die wohlhabende frau
des 16. oder 17. Jahrhunderts, die für ein Gewand 8000 oder
10.000 111k. darbrachte, behielt dieses Kleid auch Jahrzehnte lang
im Gebrauch, die lAode entwertete nicht uon Vierteljahr zu Viertel
jahr, roas drei ITlonate oorher als schön galt, und so sehen roir
auch, roie jene kostbaren Damenkleider der Vergangenheit uon der
sorgsamen Besitzerin immer wieder ausgebessert werden; einige
Stücke der Sammlung zeigen deutlich, roie fleißig und lange eine
schöne frau der alten Zeit ihr Prunkgeroand im Gebrauch behielt,
ist doch der Stoff an den Ärmeln ganz dünn und nahezu durch
gescheuert. hl.
Lokalmuseen.
Von Professor Dr fllax Duofak (HJien).*
8 Sin auffallender Charakterzug der österreichischen
Cokalmuseen ist ihre große Verschiedenheit unter
einander. Reben Anstalten, die als mustergiltig
bezeichnet toerden können (z. ß. die ITluseen
uon Pilsen oder Reichenberg), gibt es viele,
die einem Trödlerladen gleichen oder einer alten
Kuriositätenkammer, neben ITluseen, die ziel-
bewußt geleitet cuerden, solche - und sie sind
leider in der überwiegenden Illehrzahl , denen entweder
nur ein ungeklärter Sammeltrieb oder ein dilettantenhaftes,
oft einseitiges Interesse zugrunde liegt. Cs fehlt eben gänzlich
an einer einheitlichen Organisation; dem Zufall und lloch-
ahmungsbedürfnisse verdanken die meisten Cokalmuseen
ihre Cntsfehung und Zufall und vielfach auch falsche Ten
denzen bestimmen ihre weiteren Schicksale.
Cs ist sehr fraglich, ob allzu zahlreiche Cokalmuseen,
* Wir entnehmen diesen programmatischen Aufsaß der eben
erschienenen llr. 7 der ITlitteilungen der k. k, Zentralkommission
iir Erforschung und Erhöhung der Kunst- und historischen Denkmale.
die eine große Zersplitterung des in ihnen unterzubringenden
Denkmalbestandes bedeuten und vielfach zu einer unge
sunden Konkurrenz führen, überhaupt van Vorteil sind;
dach unter allen Umständen ist der Illangel an Organi
sation zu beklagen, der es verhindert, daß unsere Cokal
museen jenen fluten bringen, den sie ihrem Wesen nach
bringen könnten.
Als Hauptaufgabe eines Cakalmuseums mufj die För
derung des Interesses und der Ciebe für die lokale, kul
turelle und künstlerische Vergangenheit und der Kenntnis
derselben angesehen werden. Cs hat wenig Sinn und
Wert, wenn mit den bescheidenen (Tütteln, die in der
Regel solchen ITluseen zur Verfügung stehen, vereinzelte
Objekte fremder Provenienz erworben werden wie in den
großen ITluseen, oder wenn die Sammlungen nach den
Reigungen des jeweiligen Verwesers nach einer bestimmten
Richtung hin einseitig ausgestalfet werden.
Cs gibt viele Cokalmuseen, die fast ausschließlich
ITlünzen und prähistorische Funde, dann wiederum andere,